"Die Photographie des verschwundenen Wesens berührt mich wie das Licht eines Sterns."
Roland Barthes

Die Ausstellung vereint fotografische Arbeiten, die ein besonderes Raumgefühl vermitteln und damit den Blick auf Realität herausfordern und erweitern. Die Künstlerinnen und Künstler loten Grenzen aus zwischen dem Tastbaren und Tatsächlichen auf der einen Seite und dem weit Entfernten, dem Angenommenen, Erahnten oder Ersehnten. Die Fotografie bleibt dabei ihrer abbildenden Tradition treu. Das Bild entsteht unmittelbar in der Kamera, technische Eingriffe oder Manipulationen spielen keine Rolle.
Trotz – oder gerade wegen – ihrer tatsachenorientierten, technisch nachvollziehbaren Fotografie strahlen die Arbeiten etwas schwerlich Greifbares aus.

Eröffnung

Denis Darzacq

Mit seiner mehrfach ausgezeichneten Arbeit „La Chute“ (Der Fall), 2005-06, gelingt es dem französischen Fotografen Denis Darzacq die Grenzen von Raum und Zeit aufzuheben, und dabei das politische Statement mit dem visuellen Staunen zu verbinden. In Anspielung auf die brisante und gewaltbereite gesellschaftliche Stimmung in Frankreichs Vorstädten im Jahre 2005 suchen Darzacqs „Fallende“ die ästhetische Nähe zu einigen der schockierendsten Bilder vom 11. September.
(Arno Schidlowski)
Die Arbeit gewann den World Press Photo Award der Kategorie Kunst.

Sanna Kannisto

Für ihr Fotoarbeit reiste die Finnin Sanna Kannisto (*1974) nach Südamerika, wo sie mehrere Monate zusammen mit Wissenschaftlern auf Forschungsstationen lebte, um dort eigene künstlerische Recherche zu betreiben.
In ihre persönliche Sicht auf die vielfältige und exotische Fauna und Flora des Regenwaldes übernahm sie vermeintlich objektive wissenschafliche Arbeitsmethoden, deren Entrücktheit sie uns in ihren Bildern vor Augen führt.

Cristina de Middel

1964, im Freudenrausch seiner gerade erhaltenen Unabhängigkeit, startete Sambia ein eigenes Raumfahrtprogramm mit dem Ziel, den ersten Afrikaner auf den Mond zu bringen und so mit den USA und der Sovietunion im Wettlauf ins All gleichzuziehen. Nur einige wenige Optimisten unterstützten das Projekt des Lehrers Edward Makuka, der hauptverantwortlich das ambitionierte Vorhaben präsentierte, um die nötigen Gelder einzuwerben. Aber die Vereinten Nationen lehnten Finanzhilfen ab, und eine der Astronaut:innen, ein 16 Jahre altes Mädchen, wurde schwanger und musste aussteigen. So wurde aus einer heldenhaften Initiative eine exotische Episode der afrikanischen Geschichte, umgeben von Kriegen, Gewalt, Dürre und Hungersnot.
Als Fotojournalistin reizte mich schon immer eine außergewöhnliche Erzählweise, um nicht immer gleiche Geschichten auf die immer gleiche Weise darzustellen. In meinen freien Arbeiten respektiere ich zwar die Wahrheit, erlaube mir aber gleichzeitig, gewisse Regeln zu brechen, um so den Betrachter dazu zu bewegen, die Muster der uns als wahr verkauften Geschichten zu hinterfragen.
Ihr selbstverlegtes Buch "The Afronauts" wurde für den Deutsche Börse Photography Prize 2013 nominiert.

Regine Petersen

Im ersten Kapitel ihrer Arbeit "Find a Falling Star" beschäftigt sich Regine Petersen mit einem Meteoritenfall in den Südstaaten der USA. Das Ereignis von 1954, bei dem eine Frau in ihrem Haus von einem durch das Dach fallenden Meteoriten getroffen wurde, ist hierbei der Ausgangspunkt für eine fotografische Spurensuche. Entstanden sind Denkbilder, in denen es nicht um eine Aufklärung der Vorkommnisse geht, sondern um eine Hinterfragung dessen, wie Zeit, Erinnerung und Geschichtsschreibung funktionieren, und um den Versuch, eine Verbindung zwischen dem Alltäglichen und dem Universellen herzustellen.
Regine Petersen erhielt für ihre Arbeit u.a. das Fotografie-Stipendium der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung 2012.

Linn Schröder

"Einmal war ich in einer Shoppingmall, die New York darstellen sollte. Eine Straße mit ein paar Eingängen, davor Treppenstufen, die zur Tür führen. Zufälligerweise hieß sie genau wie die Straße, in der ich in New York gewohnt hatte, Greenwich Street. Auf der nachgebauten Straße gab es ein Café, in dem eine Familie mit einem kleinen Mädchen saß. Irgendwann ist das Mädchen aufgestanden und hat angefangen an die Türen der Fassade zu klopfen. Es klopfte und rief: Ist jemand da? Die Familie hat gelacht, aber eigentlich war es unheimlich."
Text: Marcus Jauer /Erschienen im Mai 2010 zur Ausstellung "Die Stadt" bei C/O Berlin (Hatje Cantz)

Trine Søndergaard & Nicolai Howalt

"Dying Birds" ist ein Gemeinschaftsarbeit der dänischen Künstler Trine Søndergaard und Nicolai Howalt und zeigt Vögel, die vom Himmel fallen. Die im alten Edeldruckverfahren der Photogravur hergestellten Bilder sind angegliedert an ihr Projekt "How to Hunt".

Kim Sperling

In den letzten 60 Jahren hat Korea schätzungsweise 200.000 Kinder ins Ausland adoptiert. Seit den Neunziger Jahren steigt nun die Zahl derjenigen Adoptierten, die sich für eine dauerhafte Rückkehr nach Korea entscheiden. Dort angekommen müssen sie sich den Herausforderungen stellen, welche das Leben in einem für sie fremden Land bereithält, wenn sowohl Sprach- als auch fundierte Kulturkenntnisse fehlen.
In der Arbeit „uri nara“ habe ich seit 2007 diese zurückgekehrten Adoptierten in Korea fotografiert und interviewt. Bei der Betrachtung des Zusammenspiels von westlichem Namen und asiatischem Äußeren offenbart sich dem Betrachter die Problematik der Suche nach persönlicher und nationaler Identität.
Der Titel der Arbeit „uri nara“ ist koreanisch und bedeutet wörtlich soviel wie „unser Land“. Im alltäglichen Sprachgebrauch der Koreaner wird er jedoch als Synonym für Korea benutzt. Im Kontext der Arbeit kann der Titel als Frage verstanden werden, ob sich die Idee von „unserem Land“ für jeden Adoptierten in Korea erfüllt hat.
Die Arbeit wurde 2009 mit dem Förderpreis für Dokumentarfotografie der Wüstenrot-Stiftung ausgezeichnet.

Bernadette Wolbring

Ausgangsmaterial für die Serie „camera” sind Gemälde, die Bernadette Wolbring in „interpretierenden Reproduktionen“ auf die Charakteristika ihrer gemalten Lichtverläufe reduziert. Die Ergebnisse werden als Tapeten gedruckt, in kleinen Miniatur-Modellräumen installiert und abschließend fotografiert.
Im Foto und durch die „camera“ verbindet und transferiert die Künstlerin das gemalte Licht mit den realen Lichtsituationen der Modellarchitektur. Im medialen Wechselspiel um das Phänomen Licht fragen Wolbrings Fotografien nach den Ursprüngen der Bilder.