Gibt es sie noch, die Utopien? Sind Utopien im Sinne des vor fast 600 Jahren geschrieben Romans "Utopia" von Thomas Morus, der darin eine erfundene "ideale" Gesellschaft und Staatsordnung beschrieb, in der heutigen Bildenden Kunst zu finden? Oder entwerfen die Künstler:innen abschreckende Welten der Dystopie?

Künstlerische Arbeiten aus unterschiedlichsten Medien wie Film, Zeichnung, Installation und partizipatorischen Projekten laden ein, fiktive Formen des Seins zu erkunden. Sie lassen fantastische Literatur neu aufleben, zeigen Erfindergeist und führen uns durch urbane und architektonische Welten. Sie lenken den Blick auf soziologische und politische Formen des menschlichen Zusammenlebens, die zwar denkbar, aber nicht - oder noch nicht - realisierbar sind.

Eröffnung:

Lucie Biloshytskyy

Zwei Monitore, einander gegenübergestellt, zeigen jeweils eine filmische Collage aus historischen Filmausschnitten. Der Betrachter, zwischen den Monitoren stehend, gerät zwischen einen kämpferischen Martin Luther King aus den 1960er Jahren und Barrack Obama. Gebannt inmitten eines anscheinend beherzten „I have a dream“ aus den 60er Jahren und eines im Tonfall optimistischen und engagierten „Yes, we can“  des 21. Jahrhunderts. Ein fiktiver Dialog, eine fiktive Begegnung dieser beiden berühmten Ikonen der amerikanischen Politik.
Die sloganartige Redundanz beider Aussagen und unser historisches Wissen wecken ein Unbehagen und massive Zweifel an diesen so optimistisch vorgetragenen kategorischen Aussagen. In Kenntnis der geschichtlichen Ereignisse wissen wir um die Kämpfe, Fallen und Opfer, die bei den Realisierungsversuchen dieser Utopien lauerten und lauern.

http://biloshytskyy.com

Susanne Bosch

Als hätten wir noch einen zweiten Planeten, zu dem wir umziehen könnten… Allerorten entstehen Repair-Cafés als Antwort auf die momentane Konsum- und Wegwerfgesellschaft, dem Überdruck an respektlosem und schnellem Umgang mit Material. Die Postwachstumsökonomie plädiert für einen neuen Umgang mit der Welt durch Pflege, Selbermachen, Selberanbauen, Service, Reparieren, Gemeinschaft und Verzicht. Sie hinterfragt den Begriff des Wohlstandes aufgrund der Entgrenzung des Wirtschaftswachstums.
Susanne Bosch sieht den Möbelmüll auf den innerstädtischen Straßen als ideales Materiallager, um gemeinsam mit AnwohnerInnen neue nutzbare Objekte daraus zu bauen. Es entstand die MOBILE Werkstatt, die jeweils vor Ort in Funktion geht. Während der Ausstellung wird die Werkstatt in der Dortmunder Nordstadt aus Möbeln Bücherboxen bauen.
Der Kauf der MOBILEN Werkstatt wurde mit ‚Chancen' finanziert, der neuen Kunst-Währung am Borsigplatz. Im Borsigviertel ist die Werkstatt nach der Ausstellung permanent beheimatet.

www.susannebosch.de

barbara caveng

barbara cavengs künstlerische Arbeit bewegt sich zwischen Skulptur und Installation und vor allem in partizipativen Kunstprojekten. Ausgestattet mit dem Projektstipendium Kunst fürs Dorf – Dörfer für Kunst, zog die Künstlerin von April bis Oktober 2013 in ein Dorf an der polnischen Grenze. Selbst fremd, erforschte sie den geographischen Raum und die sozialen Strukturen der Gemeinde Blankensee. Die Lebensgeschichten der Alteingesessenen erzählen von Flucht und Vertreibung, die Zugezogenen versuchen in ländlicher Umgebung heimisch zu werden. Der Wunsch anzukommen und bleiben zu können, das Bedürfnis nach einer gesicherten Existenz und die Frage nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft stellen sich im Dorf wie in der Stadt gleichermaßen.
Die Installation MI KRICHT HIER KEENER MEHR WECH / HEIMISCH im Künstlerhaus Dortmund zeigt die kleine große Welt eines Dorfes, die von beispielhaften Identitätsfragen, zerborstenen Träumen und wachsenden Hoffnungen erzählt.

www.kunstgemeinde-pampsee.net

Stefan Eichhorn

Der X-Prize war ein bis 1996 von der amerikanischen X-Prize Foundation ausgeschriebener Wettbewerb, der den ersten privat finanzierten bemannten Raumflug prämierte. Am 29. September 2004 erreichte das Raumschiff SpaceShipOne der Firma Scaled Composites als erstes von 13 Mitstreitern die geforderte Höhe von 100 Kilometern und gewann damit das Preisgeld von zehn Millionen US-Dollar.
Am Anfang des 21. Jahrhunderts stecken die großen, staatlich finanzierten Raumfahrtunternehmen in der Krise. Die amerikanische Weltraumbehörde NASA nahm ab 2010 ihre veralteten Shuttles aus dem Betrieb, obwohl deren Nachfolgertyp Orion frühestens ab 2014 zur Verfügung stehen wird, während die europäische ESA eine Mission nach der anderen verschiebt. In diese Lücke scheinen nun private Raumfahrt-Unternehmen zu streben. Die Situation ist vergleichbar mit der großen Raumfahrtbegeisterung in den 1950er und 60er Jahren – nur geht es heute um privatwirtschaftliche Interessen und nicht um Prestigeobjekte und Militärforschung großer Staaten im Kalten Krieg.
Stefan Eichhorn bezieht sich in seiner Arbeit Operation Paperclip  auf diese Ereignisse. Neben einem Objekt, einem Fragment eines Raumschiffes zwischen Vollendung und Zerstörung, entstanden drei technische Zeichnungen, die in dieser Ausstellung zu sehen sind. Nach genauerer Betrachtung wird klar, dass es sich um Attrappen handelt: Die Konstruktion bleibt leere Hülle oder improvisierte Kulisse und die vermeintlichen Erfindungen erweisen sich als reine Fantasie. Der Traum vom Fliegen bleibt lediglich ein Traum.

http://stefaneichhorn.de

Hörner / Antlfinger

Seit Mitte der 80er Jahre arbeitet die Firma HONDA an der Entwicklung eines humanoiden Roboters für den Einsatz in menschlicher Umgebung. ASIMO, der bis dato am weitesten entwickelte Humanoide, soll in Zukunft Aufgaben wie zum Beispiel die Pflege älterer Menschen übernehmen. Sein Gegenstück OMIZA bewegt sich auf der anderen Seite des Spiegels. In der Gesellschaft von Frauen erfährt er eine geordnete Welt, die nur für ihn und seine endlosen Spaziergänge durch die Labyrinthe des Herzens existiert.
 "Das Forschungsfilmen entnommene Material zeigt den humanoiden Roboter ASIMO. Komplexe menschliche Bewegungsabläufe und soziales Verhalten beherrscht er bereits: Er geht mit einer jungen Frau Hand in Hand spazieren, wartet auf sie, wenn sie zurück bleibt, oder lenkt korrekt einen Wagen in vorgegebenen Bahnen. In Le nouveau OMIZA sind erste Versuche der Kontaktaufnahme zwischen einem menschlichen und nichtmenschlichen Wesen auszumachen, eine neue Kommunikationsform erprobend. Die Annäherung von Frau und Roboter wird auch durch den Ton widergespiegelt: Erik Saties Klavierstück 'Gymnopédie No. 1' wird einmal interpretiert von einem Pianisten und einmal von einer Software für Komponisten.“  (Angelika Richter)

www.h--a.org

Christine Niehoff

Die Erdoberfläche ist unbewohnbar und die Menschheit hat sich eine Übermaschine erschaffen, die es ihr erlaubt, unter der Oberfläche in einer neuen künstlichen Welt der medialen Kommunikation über Bildschirme und Sprechrohre zu leben. Doch dann geht etwas schief...
Obwohl sie schon im Jahre 1909 veröffentlicht wurde, ist E.M. Forsters dystopische Geschichte 'The Machine Stops' auch 100 Jahre danach noch erschreckend relevant.

www.christine-niehoff.net

Felix Reidenbach

die niedlichen – kleine graue Comicfiguren von Felix Reidenbach – bevölkerten in den 1990er Jahren regelmäßig die Musikzeitschrift Spex. Seit 2009 hat die poetische und satirische Multimedia Kunst Comic Serie ihre eigene Web-Publikation. In der Ausstellung Utopisten & Weltenbauer sind die freundlich aussehenden Kerlchen zu Gast. Einer von ihnen ziert eine kleine harmlos aussehende Plastikkarte: Die FleischCard. Angeblich herausgegeben vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Berlin, die mit dem Slogan wirbt: "125 Gramm pro Woche - eine vernünftige Ration." Mit ihrer FleischCard nehmen uns die niedlichen mit in eine Parallelwelt unserer Medien- und Politiklandschaft. Die Debatte um den Fleischkonsum der niedlichen mit seinen Auswirkungen auf den Klimawandel wird mit allen Mitteln und in allen Medien heftig geführt. In den großen Talkshows der fiktiven Medienwelt wird um das Pro und Contra dieser FleischCard gerungen. Fleischflucht ins Ausland, Schwarzfleisch und Schwarzschlachtungen werden von den Gegnern der FleischCard ins Feld geführt. Ganze Industriezweige bäumen sich auf. Das Guthaben der Karte ist aufladbar, der Datenschutz gewährleistet. Für Zweifler oder Fleisch-Süchtige gibt es Alternativen: vegetarische Ernährung oder das Nichtfleischesserpflaster als Abstinenzhilfe. Letzteres versorgt seinen "niedlichen" Träger 72 Stunden lang wohldosiert mit Fleischgeschmack.
Alles nur Fiktion, Utopie, erschreckende Dystopie oder doch zukunftsfähige Vision? Wie war das noch mal, mit dem Vorschlag des Veggy Days der Grünen Partei?...

www.dieniedlichen.de

Gaby Taplick

... Die Wandinstallation gute Reise ist eine geordnete Ansammlung linierter, vergilbter Karteikarten, deren jede mit einer Briefmarke beklebt ist. Was die Karten verbindet, ist ihre identische Gestaltung, nur die Marke differiert von Blatt zu Blatt. Jede dieser Briefmarken, dieser populärsten aller Volksikonen, hat mit dem Fliegen zu tun, aus welchem Land auch immer sie stammt. Jede Marke zeigt ein „Flugzeugs“: von Luftschiffen und frühen Montgolfièren zu Propellerfliegern und fantastischen Heißluftballons. Eine Reise um die Welt, doch nicht in 80 Tagen, sondern auf 68 Marken!
Am Boden davor, ein Stapel anderer Karten, die wie ein Block Schichtholz einen haptisch verführerischen Flugapparat tragen. Ein Propellergebilde aus einem doppelten Kunststofflöffel in transparentem Orange - als sei dieser an einem brennend heißen Sommertag dem Eiskaffeeglas entflogen – steckt in einem goldenen Etwas. Das entfremdete Putzutensil wird zur technologisch aufgeladenen Hochleistungsbatterie und saugt mit seinen schillernden Waben förmlich das umgebende Licht in sich auf, allzeit bereit abzuheben.
(aus: Flugzeugs – Unschuld, Vertrauen und Sehnsucht im Werk von Gaby Taplick, Stephan Weitzel)

www.gabytaplick.com

Katinka Theis

Die Arbeit LOSGELÖSTE RAUMSTRUKTUR ist eine Manifestation formaler Erinnerungen. Durch eine Vielzahl urbaner Eindrücke entstanden, thematisiert die Installation das Phänomen schnell gebauter Megaprojekte, welche an historische Kultbauten erinnern, deren Dimensionen jedoch weder dem zeitlichen noch dem spirituellen Wert alter Kultstätten standhalten. Merkmale von Bauwerken, die einst aus kultisch-religiösen Motiven entstanden sind, werden heute von Megaprojekten adaptiert, deren höherer Sinn einzig aus dem Wettbewerb besteht. Die Installation greift die solitäre Stellung dieser Bauprojekte auf und schafft ein Netz aus architektonischen Elementen, die aus abgebrannten Feuerwerkskörpern gebaut sind und das Bild von Ruinen großer Bauten entstehen lässt. Im Gegensatz zu den mit Verbrauchsspuren verwendeten Feuerwerkskörpern, die den Zerfall aufgebauter Türme andeuten, liegt den horizontal ausgerichteten Sockelelemente eine wachsende Struktur inne. Trotz der Nähe zum Boden scheinen sie über dem Boden zu schweben, als Inseln, losgelöst aus einem festeren Zusammenhang. Dem Betrachter bietet sich die Vogelperspektive auf eine abstrakte Struktur, die Assoziationen an urbane Zusammenhänge wie auch an natürliche Prinzipien weckt.

www.katinkatheis.de

Jan Vormann

Eine ausgewählte Seifenblase wird auf dem Haltering platziert und von einem konstanten Fluss frischer Seifenlauge umspült. So wird Austrocknung und Auflösung durch Saftverlust entgegengewirkt. Die aufbewahrte Seifenblase hält nun mindestens 10 Stunden.

www.janvormann.com