Krabbelnde Metalldrähte, flatternde Tonbänder, eine automatische Band, ein ganzer Sessel voller Lautsprecher, zappelnde Regenschirmchen und noch einige feine Dinge mehr. Das ist doch keine Musik, oder? Werke auf der Schnittstelle zwischen Kunst und Musik fallen gerne zwischen die Stühle. Die Fähigkeit, Geräusche als etwas musikalisches zu verstehen, gibt uns die Möglichkeit, eine weitere Dimension mit unseren Sinnen zu erleben, Räumlichkeit zu erfahren. Warum sollten wir also unterscheiden zwischen einem alten Volkslied oder der klackernden Ampelanlage, zwischen den Aufnahmen von Ruderbooten oder Trompeten auf Bandmaschinen? Alles sind Chancen, seine Umwelt akustisch wahrzunehmen und sinnliche Erfahrungen zu machen. Was könnte sinnlicher sein, als beispielsweise die Komposition „Altes Klavierkonzert für die Weser“ von Rolf Julius, in der er Lautsprecher entlang des Flusses aufstellte? Klangkunst bedeutet, sich von Ideen überraschen zu lassen, die sich liebevoll in Klang manifestieren. In der Ausstellung können die Routen von unterschiedlichen Satelliten beobachtet werden, und ihre Spuren auf der Erdoberfläche können in Musik umgewandelt werden. Oder wir können mit einem Sensor durch die eigene Haut Bilder und Töne generieren. Wie würde das wohl klingen?

Und wenn Werke auf der Schnittstelle zwischen Kunst und Musik gerne zwischen die Stühle fallen: In der mexhibition gibt es mit dem Sonic Chair einen speziellen Sessel, der durch seine eingebauten Lautsprecher und vielen Hörstücken zur Auswahl zum Sitzen und Zuhören einlädt.
Der mex e.V. veranstaltet experimentelle und intermediale Konzerte im Künstlerhaus seit nunmehr 26 Jahren. Der Verein ist aber auch seit der ersten Stunde mit der Liebe zu Klangkunst und Installationen aufgewachsen.

Jens Brand

Jens Brand wurde 1968 in Dortmund geboren. 1988-94 studierte er an der Kunstakademie Münster. Seit 1992 kuratierte er den mex e.V. Infolge von Erfahrungen mit Künstlerinitiativen wie dem „Het Apollohuis“ in Eindhoven (Paul Panhuysen) oder der „Experimental Intermedia Foundation New York“ (Phill Niblock) wandte er sich der Konzeptkunst und der Experimentellen Musik zu. Seither entstanden eine Vielzahl von Installationen, Musik-Performances und intermedialen Projekten.

In der mexhibition zeigt er seine Arbeit „G-Player4“, die in einem anderen Zusammenhang bereits 2005 im Künstlerhaus gezeigt wurde. Der G-(lobal) Player ist ein Apparat, der die Oberflächenstruktur der Erde mittels Satellitendaten abtastet und hörbar macht - genau wie eine Plattenspielernadel die Höhenunterschiede in den Rillen einer Schallplatte in Töne umwandelt. Der Untertitel „Die Erde ist eine Scheibe“ ist also - in neuem Kontext - wörtlich zu nehmen. Brand spielt mit wissenschaftlichen Techniken und menschlichen Vorstellungen. Diese Kombination erzeugt eine völlig neue Art der Wahrnehmung. Wir „hören“ unseren Planeten, der uns dadurch gleichzeitig als Ganzes bewußt gemacht wird.

jensbrand.com

Rolf Julius

Julius wurde 1939 in Wilhelmshaven geboren und starb 2011 in Berlin. Er studierte Kunst an der Berliner Hochschule der Künste. Seine ersten Installationen beschäftigten sich mit Photographien. Später, beeinflusst durch die Arbeiten von John Cage, mehr aber noch durch die zeitgenössische europäische Musik wandte sich sein Interesse in verstärktem Maße Umweltgeräuschen und Klangtexturen zu. Er versuchte, Raum mit Klang durch die Kombination pulsierender Texturen mit der Raumakustik zu verbinden, ähnlich wie David Behrman, Alvin Lucier und David Tudor.

Rolf Julius war der archetypische „Klang-Künstler“. Er malte mit Klängen, er kolorierte mit Tonhöhen. Sein Werk verlangt nach Aufmerksamkeit und Offenheit dessen, der moderne Kunst schätzt. Er sammelte Geräusche und kombinierte sie mit separat aufgenommenen Einzeltönen, die - elektronisch modifiziert und vermittels kleiner Lautsprecher gefiltert - in Musik transformiert wurden. Abhängig von der Oberflächenbeschaffenheit der Orte, an denen die Lautsprecher angebracht sind - an einer Wand, auf dem Fußboden oder auch im Freien - schwingen die Objekte mit und „atmen“ den Klang. So auch sein Werk „Lullaby for the Fishes“ aus dem Jahr 1984, welches uns durch seine Tochter Maija Julius zur Verfügung gestellt wird, die den mex e.V. bis 2015 kuratiert hat.

Kallabris

Kallabris ist ein musikalisches Projekt, das Mitte der 80er Jahre entstanden ist und sich seitdem im aktiven Umgang mit Geräuschen, Beschränkungen und Gegenständen des Alltags übt. Privat heißt Kallabris Michael Anacker, aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Fields von Kallabris ist eine Installation für Felder mit Gruppen von Papierlautsprechern, die ein in sich geschlossenes Kommunikationssystem darstellen. Die Felder tönen und bewegen sich aufgrund der gleichen elektro-magnetischen Reizungen und transportieren so die eingehenden Informationen weiter. Alle Felder reagieren unterschiedlich, zugleich versucht der Verbund der Felder, ein Equilibrium herzustellen. Störungen in einzelnen Feldern werden durch das gesamte Netz kompensiert. Fields ist ein kybernetisches Modell von Verhalten, das die Toleranz zeigt, in Handlung überzugehen. Das geschieht auf der Grundlage basaler kommunikativer Muster. Lexikon, Syntax, Semantik und Pragmatik gehen eine Verbindung ein, die rhythmisch jeden Algorithmus übersteigt. Fields zeigt die Mechanik der Interpretation und ihre Fragilität.

www.kallabris.de

Bart Maris

Bart Maris ist ein belgischer Trompeter. Er hat mit sehr vielen Bands gearbeitet und hat unter anderem für die Flat Earth Society, dEUS, Zita Swoon gespielt und mit Art Zoyd, Fred Frith, John Zorn, Evan Parker und vielen mehr kooperiert und hält eine Gastprofessur an der School of Arts in Ghent inne.

Loops ist eine Klanginstallation aus Lautsprechern und vintage Bandmaschinen. Jeder Lautsprecher spielt einen eigenen Loop von einem kurzen Klangfragment, komponiert von Walabix und Bart Maris (in unterschiedlichen Orchestrierungen). Vorproduziert als Audio-Track in unterschiedlichen Längen mit Stille. Die Überlappung der vielen Bandmaschinen erschafft eine sich ständig verändernde Komposition von unterschiedlicher Dichte und mehreren Ebenen.

Tintin Patrone

Tintin Patrone wurde 1983 in Marburg geboren. Sie studierte an der Hochschule für bildende Künste bei Korpus & Löffler, Haegue Yang und Matti Braun. In ihren Arbeiten erfährt Akustik einen besonderen Stellenwert. Tintin baut Instrumente, tuned Autos und gründet Kollektive, die Klang erzeugen und das Spektrum zwischen Geräusch und Musik erproben. Wann ist Krach Musik und wie verhält es sich dabei mit Motorengeräuschen? Ihre Performances, ein Feld aus Improvisation und Experiment zielen dabei auf Entrückung. Ihre visuelle Bildsprache ist geprägt von Popkultur, TV und den Icons der Internetkommunikation. Die Symbole einer Post-Internet-Ästhetik tauchen in Grafiken, Teppichen, Malereien und Objekten auf. 2015 war sie zu Gast im mex-Keller mit ihrem Krachkisten Orchester.

Der Ausgangspunkt für die Videoinstallation „Art Yard“ ist die namengebende geschriebene Fassung der Performance Idee des Konzeptkünstlers Walter de Maria. Die im Mai 1960 formulierte Idee von dem bisher unrealisierten Happening beschreibt das Auftauchen einer Vertiefung und wird als 3D-Animation präsentiert. Der Soundtrack: Cut-Up Version von „Musikwords (for Phill Niblock)“ (1978) von Jackson Mac Low

www.tintinpatrone.com

Hans Polteraue

Hans Polterauer ist gelernter Fernsehtechniker und kam als Autodidakt zur Kunst. Seit 1989 ist er als freischaffender Künstler und Zeichner tätig. Er lebt und arbeitet in Münzkirchen, Oberösterreich. Er arbeitet in den Bereichen Kinetik, Lichtkinetik, Kinetik der Pflanzen, Rotations- und Stroboskopkunst. Seit 2001 ist er Mitglied der Innviertler Künstlergilde (IKG). Außerdem gehört er dem Kunstverein Passau und seit 2004 der Künstlergilde Wels an.

Von Hans Polterauer gibt es in der mexhibition drei Werke zu sehen, zu denen er selbst anmerkt: Bei „Ameisenkönigin“ und „Haarausfall“ geht es um das Zusammenspiel von Regelmäßigen (Rotation des Motors) und Zufälligem. So ergibt sich beim Haarausfall bei jeder Umdrehung wieder eine „neue Grafik“ und bei der Ameisenkönigin ergeben sich aufgrund der rotierenden Magnete immer wieder neue Konstellationen. Ähnlich dem Zusammenspiel von Rhythmus und freier Improvisation in der Musik. Für mich spielen in meiner Kunst Regel und Zufall eine sehr wichtige Rolle und eigentlich basiert ja auch die Evolution und so auch unsere Umwelt, auch die Gesellschaft und letztendlich auch das Leben auf diesem Prinzip. Bei der Beziehungskrise möchte ich anschaulich zeigen, was oft bei Beziehungen beobachtet werden kann und wirklich auch eine Krise ist. - Miteinander geht es nicht und ohne geht es auch nicht - Ähnlich wie bei einer Sucht, wird das gehasst, was andererseits so geliebt wird. Ein Wechselspiel von Anziehung und Abstoßung.

Claudia Robles-Angel

Claudia Robles-Angel ist eine in Bogotá, Kolumbien, geborene Medienkünstlerin im audiovisuellen Bereich, die weltweit aktiv ist und aktuell in Köln lebt. Ihre Arbeiten und Nachforschungen bewegen sich in unterschiedlichen Aspekten von visueller und auditiver Kunst, erstrecken sich von audiovisuellen stationären Media-Kompositionen bis hin zu Performances, in denen sie mit biomedizinischen Signalen durch Interfaces wie das EEG (Elektroencephalogram, welches die Aktivitäten der Gehirnströme mißt) interagiert.
SKIN aus dem Jahr 2014 von Claudia Robles-Angel ist eine interaktive Installation, bei der die Besucher die Gelegenheit haben, ein sogenanntes GSR (Galvanic Skin Response) Interface zu benutzen, welches die Feuchtigkeit ihrer Haut mißt. Die unterschiedlichen Messwerte zeigen psychologische oder physische Erregungen an, wie Aufkommen von Streß oder auch Beruhigung. Die Informationen, die das GSR empfängt werden an einen Computer geschickt, um daraus Klang und Bild zu generieren. Die Besucher sind daher aufgefordert, eine audiovisuelle Umgebung aus ihren eigenen emotionalen und physiologischen Parametern zu schaffen.

claudearobles.de

Anna Schimkat

Die 1974 in Darmstadt geborene Künstlerin Anna Schimkat versteht ganz im Sinne der Auffassung der Ausstellungen von Lucy Lippard oder Szeemanns Kunst als Wissenschaft, als experimentelle Anordnung zur Hinterfragung verschiedenster Phänomene wie der Wissenschaft selbst. Nach ihrem Studium an der Bauhaus-Universität Weimar verbrachte sie einige Zeit in Kanada als Gast eines Forschungsinstitutes für Neurowissenschaften. Dort interessierte sie sich vor allem für die errechnete Sichtbarkeit von Wahrnehmungen und Gehirnprozessen, die dank modernster Technik wie der Kernspintomographie möglich ist. Das Nachgehen der menschlichen Wahrnehmung vollzieht sie vor allem in ihren Klanginstallationen, die immer auch partizipativ gedacht sind. Die Frage, wie wir überhaupt Erfahrungen machen, und das Bewusstsein für dieses Zustandekommen von Erfahrungen schärfen, stellt sich Anna Schimkat mit ihren Arbeiten selbst, aber auch dem Betrachter.
Für die Installation „Note Sensible“ wurden vier originalgetreue Ampelleitsystemanlagen für sehbehinderte Menschen an Gerüststangen montiert und im Raum verteilt. Die Lautstärke des Pilottons wird durch die seiner Umgebung moduliert. Durch die Ausrichtung auf einen zentralen Punkt, verschmilzt jedes einzelne Tickern dort zu einem Rhythmus. Ein roter Taster an jeder Stange lädt die Besucher*Innen zur Interaktion ein. Wird ein solcher Knopf betätigt, ertönt ein Signal, welches in der Klangqualität vergleichbar mit dem Freigabesignal ist, in der Installation jedoch durch je einen Sinuston pro Lautsprecher ersetzt wurde. Durch diese 20-sekündige Unterbrechung des Pilottons ändert sich der zentrale Rhythmus im Raum.

www.annaschimkat.de

RaumZeitPiraten

Die RaumZeitPiraten sind ein Künstlerkollektiv und fortlaufendes Projekt von Tobias Daemgen, Jan Ehlen und Moritz Ellerich. In 2007 haben sie begonnen als Künstlerkollektiv zu arbeiten, um den Spiralen egozentrischer Selbststimulation zu entgehen. Mit selbstgebauten, optoakustischen Instrumenten missbrauchen und remixen sie uralte und hochmoderne auditive und visuelle Technologien für ihre alchemistischen, organisch improvisierten Licht und Klang Architekturen. Ihre Aktivitäten sind auf spielerisch experimentelle Verknüpfungen von Klang, Bild, Objekt, Raum und Zeit ausgerichtet mit denen sie sich auf eine wechselseitig erweiternde Multimedia-Performance-Surround-Raumschiff-Laboratoriums-Reise zwischen Wissenschaft und Fiktion begeben.
Bei dem InstruMentalGespinst der RaumZeitPiraten wurde verschiedene ausgediente Musikinstrumente ihrer bevorstehenden Entmaterialisierung entrissen und zu einem elektromechanischen, audiovisuellen Orchester versponnen. Durch licht-, klang- und bewegungssensitive Motoren und Sensoren spielen sich die präparierten und modifizierten Instrumente gegenseitig und treten in einen berührungslosen, spielerischen Austausch mit ihrer Umgebung.

raumzeitpiraten.com

Sonic Chair

Der Sonic Chair ist ein Lautsprecher-Design-Möbel, der um 350 Grad drehbar ist. Das Sitzen im Klangzentrum unterstützt die Räumlichkeit der Aufnahmen. Lautsprecher im Sesselhimmel, die tiefen Frequenzen werden über eine Körperschallmembran auf den Rücken des Nutzers übertragen. In mehreren Ausstellungen der Reihe soundwaves in Köln und Münster wurden für den Sonic Chair unterschiedliche Künstler*Innen aus der Geräuschmusik-Szene eingeladen, die alle eigens für das Klangmöbel neue Stücke komponiert haben. Die Besucher sind eingeladen, sich den fließenden Soundströmen und bizarr verschachtelten Klanglandschaften hinzugeben. Die Beiträge bewegen sich zwischen abstrakt-krautigem, elektronischem Ambiente, puristischen Field Recordings, geschichteten Gitarrendrones, aus manipulierten Alltagsgegenständen und erwirtschafteten Geräuscherzählungen, sowie Klangkunst, Jazz und experimentellem Pop. Die Stücke können als durchlaufendes Programm angehört werden, oder gezielt einzeln angewählt werden.
Sonic Chair kuratiert von Georg Dietzler, Erhard Hirt, Till Kniola und Achim Zepezauer mit Aufnahmen von: Andreas Oskar Hirsch // Achim Mohné // Janneke van der Putten & Chrs Galarreta // Miki Yui // Achim Zepezauer // Stan Pete // Ross Parfitt, Erhard Hirt & Florian Walter // Artificial Memory Trace // Colin Potter // N // Das Synthetische Mischgewebe // Claus van Bebber // Gailė Griciūtė // Peter Strickmann // Marta Zapparoli

Tasos Stamou

Der Wahl-Londonder Tasos Stamou komponiert elekro-akustische Musik, ist Performer, kreiert alternative elektronische Instrumente und arbeitet als Tutor sowie Sound-Technologe. In den vergangenen Jahren hat er kontinuierlich daran gearbeitet, seinen eigenen Stil in elektro-akustischer Musik zu entwickeln. Mit seinem „Portablen Musik-Studio“ intoniert er gerne lange Klangstücke mit traditionellem und aktuellem Instrumentarium. Dabei erforscht er die Zwischenwelten von zeitgenössischer und altertümlicher transzendentaler Musik, die er in erster Linie auf seinen selbstgebauten oder präparierten Instrumenten spielt. Als Hommage an seine Heimat Kreta hat er aktuell eine Schallplatte auf dem Label Discrepant mit dem Titel „Musique Con Crète“ veröffentlicht.
Im Jahr 2016 war Tasos Stamou noch zu Gast im mex-Keller mit einem Konzert und nun gibt er seinen zweiten Workshop für den mex e.V. in Kooperation mit dem Parzelle Festival, welches vom 31.10. bis zum 03.11. im Depot stattfindet. Der Workshop findet am 03.11. um 11 Uhr im Künstlerhaus Dortmund statt und kostet 50,- € Teilnahmegebühr. Anmeldung erforderlich. Nur fünf Plätze!

www.tasosstamou.com