Stift und Zettel, mehr braucht es nicht für eine Zeichnung. Denkt man. Dabei ist die Bandbreite dessen, was Zeichnung sein kann, doch riesig. Insofern ist der Titel der Ausstellung eine charmante Untertreibung. Denn in den Arbeiten von elf Künstler:innen zeigt sich, dass Zeichnung bisweilen alle Grenzen sprengt. Mal ist es eine Papierskulptur, die nur noch materiell an angefangene Zeichnungen erinnert, mal hängen ausgeschnittene Zeichnungen über Gestellen im Raum. Flugzeuge am Himmel zeichnen ein Video, gerahmte Zeichnungen entfalten sich in den Raum hinein, Zeichungen stellen ganze Räume überhaupt erst her, sei es als Raumwand oder als Projektion. In Textilien ausgeführte Striche stehen selbstverständlich neben Graphit, Tusche und Kugelschreiber. Die Dortmunder Ausstellung beweist, dass eine kleine Skizze, eine Notiz mit Stift auf einem Zettel nur der Ausgangspunkt ist für Arbeiten, die die Zeichnung über sich selbst hinausführen. Wer bisher nicht ahnte, wozu Zeichnung fähig ist, wird hier überzeugt: Zeichnung ist kein vorbereitendes, gar nachgeordnetes Medium, sondern eigenständiges Genre mit der Möglichkeit zur großen Oper.

Eröffnung

Tim Cierpiszewski

Auf der Wand steht das Wort KARTE allerdings sind die Buchstaben jeweils einmal gespiegelt und einmal geklappt und dann zu einem neuen ganzen zusammengesetzt. So entstehen aus den fünf Buchstaben fünf verschiedene Formen. Diese setze ich dann "linear" auf die Wand. Die fünf Formen sind weiß, die anderen Wandanteile schwarz.

Theresa Frölich

"Mit Fäden wird auf Wände gezeichnet, sie spannen sich durch den Raum, umgeben den Betrachter, lenken den Blick, werfen Schatten, erzählen Geschichten."

Trixi Groiss

Serie “100 nackte Männer”, Bleistift auf Papier,, 42/29,7 cm
Es handelt sich um hyperrealistische Bleistiftzeichnungen.
Der (meist) tätowierte Körper ist, in der Serie “100 nackte Männer”, mein Thema. Dabei verhalte ich mich selber wie ein Beobachter, ein Erzähler, da  ich ja
nur wiedergebe, darstelle, was ich schon vorfinde. Die Tatoos auf der Haut der Männer und Frauen, stellt eine Verbindung vom “Innen zum Außen” her. Die Motive, meist innere individuelle oder kollektive Bilder, sollen das Subjekt definieren oder maskieren. Die “Maskerade“ aber “entlarvt” das idealisierte, verschönte, mit Zeichen und Symbolen versehene, Individuum.
[Trixi Groiss, Berlin, 7.9.10]

Anna Kolodziejska

Moussa Kone

Kones Bilder haben etwas Erzählerisches an sich; wiederkehrende Motive verstärken diesen Eindruck. Die auftretenden Figuren sind jedoch weniger Akteure als passive Beobachter, deren Handlungsmacht im Selbstbezüglichen versandet, narzisstisch-masturbatorische Regungen inklusive. [...]
Der entropische Grundton im Motivischen konkurriert mit dem Bild völliger Kontrolle in Struktur und Ausführung der Zeichnungen. Sie haben einen Zug ins Rituelle, der mit einer starken Tendenz zur Fläche korrespondiert. Das geben Gegenstände vor, wie die mehrfach auftauchenden bildparallelen Bretterwände, aber auch der zeichnerische Stil, der Ornamentales integriert, wie die der indischen Miniaturmalerei entlehnten Wolkenranken, und auf Schatten, Plastizität und Tiefe verzichtet.
[aus: MOUSSA KONE: „PIECES OF SILENCE“ von Rolf Wienkötter]

Nina Märkl

Ein Objekt in Form eines Stahlrahmens, der Züge eines Altarbildes aufweist (Dreiflügligkeit, Feld für Predellendarstellung), aber zugleich in seiner Unbeweglichkeit und seinen z.T. asymmetrischen Klappungen davon abweicht.
Darin befinden sich Zeichnungen, die sich thematisch mit der Suche nach Beheimatung und der Sehnsucht nach Verortung in Weltmodellen beschäftigen.
Das Alltägliche, Banale mischt sich in den Zeichnungen mit christlicher Ikonografie und mythologischen Fragmenten, verwoben zu einem privaten Modell des Fragens nach Zusammenhang, Sinn und Beheimatung und der eigenen bildnerischen Tätigkeit. 
Durchblicke, die durch Schnitte im Papier entstehen, verbinden zunächst isoliert wirkendende Bereiche immer wieder miteinander und erweitern die Einzelzeichnung in den Raum.

Paula Mueller

Kurze Anmerkung: Improvisation hat nichts mit Beliebigkeit zu tun.
Wer improvisiert, muss das Repertoire kennen und das Handwerk beherrschen.
Er geht über den Bestand hinaus und aktiviert eine ganz besondere, energiereiche
Schnittstelle zwischen Speicher und Spontaneität. Damit haben wir es hier zu tun.
In ihren Spielarten Karikatur, Cartoon oder Comic trägt die Zeichnung - meist in
Kombination mit Text - den Witz ganz vorn, von der Ironie bis zum Sarkasmus, gnädig lächelnd bis böse. Humor ist ein besonderer Treibsatz und in der Kunstszene ja nicht unbedingt etabliert. Er schafft eine anregende Atmosphäre zwischen Vergnügen und der Notwendigkeit des Verstandesgebrauchs.  Der Witz lebt davon, dass zusammenwächst, was eigentlich nicht zusammengehört. Das will erst mal gesehen, geduldet und begriffen werden. Humor ist Treibstoff für Geselligkeit und Gemeinschaftsgefühl. Manchmal macht er aber auch den, der nicht versteht, ziemlich einsam. Um Witz zu begreifen, braucht es Schnittmengen mit dem Erzähler. (...)
Dass der Auftritt des Zeichners in Humor-Mission auch ein Horror sein kann, deutet Paula Mueller mit einem Blatt an, in dem ein merkwürdiges Geschöpf, eine Spaßpatrone mit Haifischlächeln, bemerkt: "Did not know, your smile was so expensive". Schatten werfende Buchstabenblöcke liegen neben Figur und Schraffur, die Künstlerin liebt das freie Zusammenspiel, stellt Fragment neben Ausformuliertes und lässt das Aufeinanderprallen sprechen. (...)
"Meine Meinung interessiert mich nicht" steht auf einer Arbeit. Kombinatorik entbindet spontane Bedeutung ohne Haltbarkeitsgarantie. Eine Hierarchie der Bildelemente ist der Künstlerin ebenso fremd wie technische oder motivische Festlegung. Konsequenterweise greift Paula Mueller zu ungewöhnlichen Rahmen, die ein paar Winkel mehr brauchen, um den malerisch-grafischen Kosmos zu umschließen. Die Fundstücke und Erfindungen werden nicht ins Format gebracht, der veröffentlichte Wandrahmen hat sich den Windungen und Wendungen der visuellen Ernte anzupassen. Die Künstlerin motiviert mit der Aktivierung ihres individuellen, wachen Filters zur subjektiven Betrachtung. (...)
Mueller pflegt die unterschiedlichsten Strichführungen und Bildsprachen, ist mal malerischer und mal grafischer, bedient sich hier in der expressiven Abstraktion, dort im strichelnden Klein-Klein, blättert die Kunstgeschichte auf und greift auf den medialen Bilderstrom und das urbane Fassadenangebot zu. Natürlich gelingt das meist hinreißend, aber natürlich ist es verführerisch und redlich, dann auch mal festzustellen: "I wanted but it did not go".
Aber warum sollte es dem Künstler besser gehen als dem Schöpfer aller Dinge. In "No show today" sehen wir den himmlischen Vater in einer kräftigen grafischen Unordnung. Der Varietevorhang ist deutlich zu kleine für diesen Akteur. Stehen Welt und Weltenherrscher einfach in einem Missverhältnis zueinander. Rührt daher vielleicht das ganze bekannte Dilemma.
[Auszüge aus Einführungsrede von Dr. Rainer Beßling, Kulturjournalist "Was wollen die denn?", Harald Falkenhagen, Christian Orendt, Sonja Ahlhäuser, Paula Müller, September 2010]

Ute Ostermann

In ihrer künstlerischen Arbeit greift Ute Ostermann Phänomene ihrer Umwelt auf und stellt diese durch Verschiebung und Auflösung von Proportionen in neue Zusammenhänge. Es entstehen Kompositionen, die sich an den Gesetzmäßigkeiten und Formen der Neuen Musik orientieren. Begrifflichkeiten wie Raum und Zeit, Struktur und Rhythmus, Geräusch und Stille, Schwingung und Dynamik werden mit den Mitteln von Malerei und Zeichnung in eine eigene Formensprache übersetzt. Das Bild wird zur Partitur.

Pia Schauenburg

SKYLINES 0.1 ist eine Studie zur Auslotung der Grenzen zwischen Video und Zeichnung im strengsten Sinne. Zur Verwendung kommen weder Zeichnungen in animierter Form noch vom Computer generierte Linien. Das Material besteht ausschließlich aus Videoaufnahmen. Einzig die Tonebene wurde später hinzugefügt, wodurch eine Irritation der visuellen Wahrnehmung erreicht wird. Der Himmel wird zur Zeichenfläche, auf denen Flugzeuge die Linien hinterlassen.

Adriane Wachholz

In den Arbeiten verbindet Adriane Wachholz Elemente aus Zeichnung und Video zu raumbezogenen Installationen. Die Zeichnung wird dabei sowohl zeitlich, durch die Überlagerung mit Videoelementen, als auch räumlich, durch die skulpturale Verwendung des Papiers, erweitert. Zeichnung, Papier und Videoprojektion stehen gleichwertig nebeneinander. Auf die
grauen Bleistiftzeichnungen wird das farbige, rasterartige Videobild projiziert, wodurch beide Medien zu einem Bild verschmelzen. Projizierte Elemente stehen neben der Zeichnung und ergänzen oder überlagern diese. Durch die Kombination bekommt die Zeichnung eine Zeitachse und steht im Wechselspiel mit fortschreitenden Ereignissen und Eindrücken. Das Video selbst wird nicht auf herkömmliche Weise, also nicht im Bildformat 4:3 oder 16:9 benutzt. Die Arbeiten werden bei möglichst normalen Lichtverhältnissen gezeigt, dadurch ist die eigentliche Größe der Projektion nicht mehr feststellbar und somit das Video zur Erweiterung der Installation benutzt wird.Diese Erweiterung geschieht gleichzeitig auf inhaltlicher Ebene: Die Videoprojektion wird zur psychologischen Projektion des Betrachters und erzeugt in Kombination mit der bewegungslosen Zeichnung ein Spannungsfeld zwischen Realität und Vorstellung, Wirklichkeit und Wunschdenken oder Gegenwart und Vergangenheit.