Eine Kooperation des Künstlerhauses Dortmund e.V. und mex - Gesellschaft für intermediale und experimentelle Musikprojekte e.V.
Mit merkwürdigen Multimedia-Experimenten und schrägen Klängen ist mex groß geworden; jetzt feiert der Verein seine Volljährigkeit mit rund 21 Künstlern und Musikern, 2 Konzertabenden und 1 Ausstellung. Im Künstlerhaus zu sehen und hören ist eine mex-typische Mischung von Youngstern und Legenden aus dem In- und Ausland, denen daran gelegen ist, per Klangkunst und Rauminstallation die Sinne für Phänomene zu öffnen, die gemeinhin unter Tisch und Teppich gekehrt werden: die Kunst des Arbeitens, Oberton und Schallreflektion, die Weite der Wüste, Geräuschnuancen, Wanderschatten, Radioaktivität, Stille.
In einem Akt künstlerischer Aneignung seiner temporären Residenz Berlin analysierte der - in die Grenzbereiche von Skulptur vorstoßende - Künstler topografisch und geometrisch die damals noch geschlossene Mauer, und übertrug sie in ein Notensystem. Die formalen Eigenschaften der verschieden zickzackförmigen Mauerabschnitte ordnete er Kategorien wie z.B. gebogen, gerade, chaotisch oder Kanal und See zu. Eine Version des Musikstückes folgte der Mauer-Partitur durch Tonaufnahmen von patrouillerenden Hubschraubern, Blitzen und extrem langen Saiten, die Fox in Ateliers seiner früheren oder aktuellen Heimat strich oder schlug.
Bevor der neue Schmetterling umherfliegen kann, geht die Raupe in Klausur, im Kokon von der alten Erde zehrend. Hätte sie Ohren, würde sie das künftige Leben außerhalb lauschend studieren. Auch Menschen adaptieren neue Umgebungen in einer Art Schutzhülle. Ritter hat sich mit einem Mikrofon an ihrer Kleidung (als Erweiterung ihrer natürlich begrenzten Aufnahmekapazität) ihre neue Existenz durch Field Recording angeeignet. Diese Übergangsphase schließt sie mit einer Klangkomposition ab, einem Remix der modifizierten Geräusche, und lässt sie aus kokonförmig gestalteten Lautsprechern frei-, in die Luft.
Nähert man sich dem Raum, hört man seltsam klackernde und kullernde Geräusche. Tritt man jedoch ein, erblickt man 3 demonstrativ verstummte Maschinen, mit ruhenden, unrunden Metallkugeln auf Glas. Deren Struktur und Rhythmus wurde gestört; denn die Balance des Eigenlebens entzieht sich der Beobachtung. Der Betrachter „stört“, aber genau das ist werkimmanent sein Part. Nimmt er gebührenden Abstand ein und unterlässt das Kontrollieren, darf er - gewissermaßen einvernehmlich - wieder der langsamen Permutation des charmant perkussiven Trios lauschen.
Welche Voraussetzungen benötigt ein reales System, um autonom zu agieren? Dieser Frage geht Schreiber mittels Elektronik, Solarzellen, Motörchen und Kleinst-Lautsprechern nach und schafft dabei akustisch und visuell poetische Installationen. Schwachstrombetriebene Prozesse verwandeln Licht von Overheadprojektoren in leise Klänge und seltsam anrührende Bewegungen von Miniatur-Robotern. In simplen analogen, jedoch komplex vernetzten Schaltkreisen wird Energie permanent übertragen und geteilt. Nachbarn in diesem System interagieren und kommunizieren auf elementare Weise.
Elektronisch generierte Klänge können Musikinstrumente oder Tiere imitieren, und manch einheimischer Vogel dreht den Spieß bereits um, indem er billige Handysounds nachträllert. Wäre die Illusion des Trompe-l’Oreille jedoch zu perfekt, ginge die Künstlichkeit des Imitiertseins verloren. Hochherzs organisch wirkende, aber artifizielle Klänge machen daher bewusst ihre Genese transparent. Mit Feedback-basierten Synthesizern und selbstregulierende Kreisläufe realisiert, ermöglichen sie Assoziationen aufgrund bestimmter zeitlicher Entwicklungen und Strukturen von Variation - und mit zwei Ghettoblastern sowie speziellen Zeichnungen eine unkonventionelle Treppenabsatz-Konversation.
Die Multi-Media-Legende lässt es anlässlich seines 80. Geburtstages bei mex21 schön krachen. Er hat über Jahrzehnte und in aller Welt filmisch die Dynamik körperlichen Arbeitens dokumentiert. Die sich ständig (mit leichten Abwandlungen) wiederholenden Bewegungsabläufe, choreografische Formen der Ausdauer, kombiniert er kongenial mit vielschichtig ausgedehnten Drones, mikrotonalen Verschiebungen und obertonpotenter Lautstärke.
Ein Kasten mit dem gelegentlich aufleuchtenden Schriftzug tacet lenkt den Blick unverzüglich auf jeden relativ leisen Moment. Eigentlich eine Spielanweisung für Musiker, ihr Instrument eine Weile ruhen zu lassen, macht tacet, „er/sie/es schweigt“ hier umgekehrt die Geräuschumgebung zu einer ungeschriebenen Partitur, in der die Pause den Ton angibt. Ohne Stille kein Bewusstsein für die Stille, so scheint es fast - tacet lässt Aufhorchen für das Unhörbare.
Ein harmlos zartes Klingeln in einem feinen Glasobjekt, gepaart mit dem kurzen Aufflackern eines Lämpchens, macht das Unfassbare hörbar: in Reaktion auf das Fukushima-Desaster greift Mihara das Konzept der in Japan traditionell zur Abwehr von unsichtbar bösen Kräften eingesetzten Furin-Glöckchen auf. Er verwendet sie nun in einer zugleich fragil ästhetischen wie zuverlässig empfindlichen Apparatur, die behütet unter einer gläsernen Kuppel, in Echtzeit vor aktuell vorhandener Radioaktivität warnt.
Die Herausforderung totaler Stille bietet die Wüste der Arktis, einer sinnenschärfenden, aber auch -verstörenden, nahezu metaphysischen Landschaft. Köner konstruiert aus eigenen Fotos sowie Field Recordings aus Novaya Zemlya eine intermedial künstliche Weite, die nur bedingt mit dem real existierenden, atomverseuchten „Neuen Land“ zu tun hat. Beunruhigende Untertöne der sich allmählich verschiebenden Soundscapes und Licht-Schattenformationen transformieren das Zeitgefühl für utopische Gefilde, in denen die Poesie der Leere herrscht.
Die Künstlerin dekonstruiert einen Raum durch das, was ihn - zwar auf ephemere Weise, doch essentiell - mitdefiniert: Licht. Sie installiert eine Glühbirne an einem maschinell bewegten Ausleger, um genau eingerichtete, dramatische Helligkeitsschwankungen und rasante Schattenwanderungen zu erzeugen. Die genial schlichte Kinetik mit ihrer optischen Irritation bringt die Gewissheit des Rezipienten über die Stabilität des Raumes gehörig aus dem Gleichgewicht.
Hinter der vorherrschenden Farbe Schwarz entdeckt man wunderlich anti-uniforme Transformationen der Gegenstandswelt, Undercover-Grammophone und -küchenuhren, die sich als Musikinstrument verstehen und verstehen lassen. Die Frage nach Identität im richtigen oder falschen Klangkörper oder, je nachdem wie man es nimmt, ein anarchisches Spiel mit surrealen Geräusch-Kontextverschiebungen.
Julius, Pionier klingender Kunst in Deutschland, hat in Breite und Tiefe das Übergangsfeld von Sehen und Hören bearbeitet und ein subtiles Oeuvre und einen Humor voller Zwischentöne entwickelt. Viele Werke auf Papier vermitteln auditive Vorstellungen. Typisch für diese mehr oder weniger unspielbaren Partituren sind reich nuancierte Flächenkonturen. Wie klingt eine Kartoffel, wie verschiedene oder gar mehrere zusammen? Ob nun ein Erdapfelkonzert aufgeführt werden müsste, von oder für Kartoffeln, sei bei einem Künstler, der durch ein Konzert für einen gefrorenen See Geschichte geschrieben hat, der Vorstellungskraft überlassen.