Diese Ausstellung nimmt das Zeichnen als Ausgangspunkt – jedoch nicht im traditionellen, mediengebundenen Sinn. Among Other Things – Zeichnung als erweiterte Praxisvereint Künstler:innen, deren Arbeiten herausfordern, erweitern und neu definieren, was Zeichnung sein kann. Die ausgewählten Werke reichen von zweidimensionalen Arbeiten bis hin zu skulpturalen und räumlichen Interventionen, die sich mit anderen Disziplinen wie Installation, Video, Performance und Objektkunst überschneiden.
Die Ausstellung versteht Zeichnen als ein offenes, konzeptuelles und experimentelles Feld. Sie untersucht, wie Linie, Geste, Spur und Markierung über Papier oder Oberfläche hinausreichen – in den Raum, in Bewegung und Materialität hinein. Indem sie diese Vielfalt in den Vordergrund stellt, bietet die Ausstellung eine Plattform für unterschiedliche Lesarten der Zeichnung: als Prozess, als Notation, als Struktur, als Handlung und als Denkwerkzeug.
Der Titel Among Other Things verweist auf die vielschichtige Natur dieser erweiterten Praxis – Zeichnung als ein Element unter vielen, das mit anderen Ausdrucksformen koexistiert und interagiert. Die Ausstellung lädt das Publikum dazu ein, vertraute Grenzen zu hinterfragen und Zeichnung nicht als festgelegte Kategorie, sondern als dynamische, sich entwickelnde Sprache über Mediengrenzen hinweg zu begreifen.
Rascunhos de Cordas (Saitenskizze) ist aus dem Spielfilm Ceci n’est pas une guitar hervorgegangen. In dieser Version als Videoinstallation erkundet das Werk kreative Formen der körperlichen Performance in Gitarren-Anordnungen über drei Szenen hinweg. Die Performances betrachten die Saiten als Linien, die Klänge und Affekte schreiben sowie skizzieren und nicht-klangliche Kräfte hörbar machen.
Nora Mona Bach führt den Begriff der Zeichnung an seine physischen Grenzen. Pulverisierte Kohle – archaisches, mythisch aufgeladenes Material – bildet das Zentrum ihres Prozesses. In spannungsreichen Kompositionen durchdringen sich pigmentgesättigte Flächen und gestische Setzungen. Pastellfarben setzen gezielte Kontraste, während Cut-Outs und von der Zeichnung abgetrennte Elemente den Bildraum erweitern, als würde die Zeichnung selbst in den Raum ausgreifen und Bewegung aufnehmen. Bach fordert das Papier heraus, es saugt die Partikel wie Staubwolken ein und wird Teil der Kohlensphäre. Auch der Betrachter ist gefordert: Die Arbeiten changieren zwischen Figuration und Abstraktion, Geologie und Atmosphäre, Fotogramm und Landschaft. Sie sind Sedimentschichten aus Erinnerung, Wahrnehmung und Material – Zeichnungen, die den Blick in Bewegung versetzen.
Sarah Casey ist eine Künstlerin und Forscherin, die vorwiegend durch Zeichnung arbeitet. Sie kooperiert häufig mit Wissenschaftlern außerhalb der Kunst, um gemeinsame Themen wie Prekarität und materielle Existenz zu erforschen. Dabei entwickelt sie Zeichnungen, die meist von Zeit, Licht oder Umweltbedingungen abhängen. Seit 2020 arbeitet sie mit Gletscherarchäologen in der Schweiz zusammen, um archäologische Funde zu untersuchen, die aus dem alpinen Eis hervortreten. Ein Ergebnis sind Schattierungszeichnungen auf Glas, die mit Gletschermehl erstellt werden, das vom Rückzug der Gletscher zurückbleibt. Ihre Einzelausstellungen fanden unter anderem im Henry Moore Institute, Kensington Palace, The Bowes Museum und an der Ryerson University in Toronto statt. Sie erhielt nationale und internationale Residenzen, unter anderem bei der Royal Drawing School (2021), dem Musée d’Art du Valais (2023) und der British School at Rome (2025). Zu ihren jüngsten Auszeichnungen zählen der John Muir Trust 3D Prize, der William Littlejohn Award der Royal Scottish Academy (2024) und der John Ruskin Prize (2024). Darüber hinaus schreibt sie über Zeichnung und ist Mitautorin des Buches Drawing Investigations: graphic relationships with science, culture and environment (Bloomsbury 2020). Sie lebt in Schottland und ist Professorin für Bildende Kunst und deren Geschichte an der Lancaster University, UK.
„地図のない地図/Eine Karte ohne Diagramm
Die Werkreihe trägt den Titel City Map, aber die Objekte sind keine bedruckten Landkarten, sondern rufen nur die Assoziation wach. Die Formate und Falze erinnern an Sightseeing-Maps, die jeder schon einmal gesehen oder auf Touren benutzt hat. Nimmt man sie in die Hand, erinnert sie an einen Stadtplan oder Routenplaner fürs Auto. Vor dem Navigationsgerät waren diese Pläne das Mittel zur Wahl, um von A nach B zu kommen. Wieviel Spannung, Hoffnung und Neugier liegt im fantasievollen Akt des Auffaltens, wo wir uns vom Einzelnen wieder dem Ganzen annähern und einen anderen Blick erhalten.
Edos City Maps zeigen jedoch weder unseren aktuellen Standort noch ein Ziel oder eine Gesamtansicht. Stattdessen laden sie uns ein, eine Fantasiestadt zu betreten, ohne Startpunkt oder Bestimmungsort. Durch den imaginären Akt des Entfaltens könnten wir jedoch in die Lage versetzt werden, uns einer umfassenden Sicht „Weltbilder“ anzunähern.
Edos Kartenserie umfasst drei monochrome Farbvarianten. Das Blau erinnert an Himmel oder Meer, das kontrastierende Grau an Erde und Gebäude und das Weiß an Zukunft, Reinheit und Läuterung.
Satomi Edo sagt, Kunst öffnet uns die Augen.
Vanessa Enríquez’ transdisziplinäre Praxis versteht Zeichnen als kontemplativen und forschenden Prozess zur Entwicklung eines metaphysischen Bewusstseins. Verwurzelt in Physik, Kosmologie und nicht-dualistischen Philosophien erkundet sie verborgene Rhythmen und Muster der Natur. Durch wiederholte Gesten entfalten sich komplexe Geometrien und Morphologien. Über traditionelle Bildträger hinausgehend, besetzen ihre Arbeiten Raum und Klang und formen immersive Diagramme und Partituren, die die multidimensionale, vernetzte Struktur der Wirklichkeit erfahrbar machen.
Enríquez hat einen BFA in Grafikdesign (Mexiko-Stadt) und einen MFA der Yale University (2000). Sie erhielt Förderungen von der Pollock-Krasner Foundation, der Stiftung Kunstfonds sowie dem mexikanischen Nationalfonds für Kultur und Kunst. Ihre Arbeiten wurden unter anderem in der Maison de l’Amérique latine, Paris (2024–25), im Aomori Center for Contemporary Art, Japan (2022), im Drawing Lab, Paris (2021), im Museo de Arte Contemporáneo de Querétaro (MACQ) (2019), im Museo de Arte Contemporáneo de Oaxaca (MACO) (2020) und im Museo de Arte Contemporáneo Juan Soriano, Cuernavaca, Mexiko (2021) gezeigt.
"Innerhalb der letzten zehn Jahre gibt es drei Konstanten im Werk von Petra Fiebig: das Interieur als Sujet, der Bleistift als zeichnerisches Gerät und die Ausdehnung ihrer Bildfindungen in die dritte Dimension. Im Rahmen dieser Parameter aber zeichnet sich ihr Werk durch eine lebendige Entwicklung aus.
Das Interieur – ohne die Anwesenheit von Menschen – ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, hat aber bis heute seine Aktualität und seinen Reiz nicht eingebüßt. Der Betrachter erhascht einen Ausschnitt aus einer ihm unbekannten Lebenswelt und erhält dadurch den Status eines ungebetenen Besuchers. Seine Situation bleibt ambivalent. Die natürliche Neugierde und das Wissen um eine Grenzüberschreitung vermischen sich. Diese Ambivalenz erfährt in den Arbeiten von Petra Fiebig eine Steigerung durch die unterschiedlichen räumlichen Realitäten, denen sich der Betrachter ausgesetzt sieht und durch die Vermischung von tatsächlich anwesenden und gezeichneten, fiktiven Gegenständen. Der Bleistift, oft in kurzen, schraffurartigen Strichen geführt und je nach gewünschtem Tonwert mehrfach übereinandergelegt, gewährleistet dabei beides: malerische Werte und den präzisen Strich. Die Monochromie der Arbeiten gemahnt in unserer heutigen, sehr bunten Welt an die reduzierte Schönheit alter Schwarzweiß-Fotografien und setzt den Fokus auf das Wesentliche. Die Arbeiten von Petra Fiebig sind nicht laut, aber sehr präsent." (Dr. Veronika Wiegartz, 2018, Auszug aus Petra Fiebig. Interieur.)
Die Installation Eternal Return von Bjørn Hegardt thematisiert Vergänglichkeit, Transformation und die Beziehung zwischen Mensch und Natur, mit all ihren Gegensätzen. Auf Sockeln unterschiedlicher Höhe sind Zeichnungen und Animationen in Rahmen montiert, wobei die Grenze zwischen bewegtem Bild und Zeichnung auf Papier bewusst fließend bleibt. Die Animationen zeigen endlose Transformationen – abstrakte Muster und geometrische Formen wandeln sich in Naturdarstellungen und kosmische Strukturen. Die klar strukturierte Anordnung der Sockel erinnert an eine Stadt oder eine topografische Landschaft, verbunden durch eine durchgehende schwarze Linie. Diese Linie schafft ein visuelles Netz, das die einzelnen Arbeiten zu einem neuen Raum und narrativen Zusammenhang verknüpft. Eternal Return lädt dazu ein, zyklische Prozesse und die untrennbare Verbindung von Natur, Mensch und Kosmos neu zu betrachten.
Bjørn Hegardt (*1974) ist ein in Berlin und Oslo lebender Künstler und Herausgeber. Sein Werk umfasst Zeichnung, Animation und Installation, oft in Kombination, um Themen wie Vergänglichkeit, Transformation und die Beziehung zwischen Mensch und Natur zu erforschen. Hegardt ist Gründer und Redakteur von FUKT Magazine, einer international renommierten Publikation für zeitgenössische Zeichnung. Seine Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen in Europa und den USA gezeigt.
Das Werk des in Köln lebenden Künstlers Wolfgang Lüttgens steht quer zu allen gängigen Gattungszuordnungen. Seine Arbeiten können zugleich zeichnerische, fotografische, malerische und plastische Aspekte in sich vereinen, ohne dass sie sich einem Medium eindeutig zuordnen lassen. Indem er seine künstlerischen Mittel und Optionen möglichst vielfältig anlegt, mit digitalen wie mit analogen Techniken gleichzeitig arbeitet, mit Zwei- wie mit Dreidimensionalität, hat sich Lüttgens ein enorm weites Experimentierfeld geschaffen. Das zeigt sich auch in seinem Beitrag zur Vorgebirgspark Skulptur 2022.
Kleinformatige geometrische lineare, gewinkelte Formen werden horizontal und vertikal ausgerichtet auf einer Wandfläche installiert: Es entstehen Felder von „Wandstrukturen“.
Äußere Form, Farbigkeit und Anzahl der Anordnung von Einzelelemente der „Wandstrukturen“ sind abhängig von der vorgegebenen Fläche, den äußeren Gegebenheiten des Raumes sowie des Lichts. Sie bewegen sich zwischen verdichteter Setzung und lockerer Streuung der Formen…
Unterschiedlich farbig gefasst, wechseln siein ihrer Vielgestaltigkeit in Form und Setzung zwischen Ruhe und Dynamik, sie wirken in den Raum, definieren und strukturieren ihn, schaffen neue Wahrnehmungsmöglichkeiten, verändern den Umraum.
Das Zeichnen ist für Sandra Opitz eine zentrale Form des Nachdenkens über sich und die Welt. So bildet die Zeichnung die Grundlage all ihrer künstlerischen Arbeiten. Mittels der Zeichnung erfährt sie sich selbst oder findet zu sich zurück: sie erlaubt ihr Orientierung und (Neu-)Ordnung, schafft Erkenntnisse.
Ihren Arbeiten gemeinsam ist die Begegnung mit den vielfältigen Formen der Natur. Tierische, pflanzliche und menschliche Elemente sowie Objekte, Linien und Flächen werden zum Teil einer großen, sich wandelnden Metamorphose. Alles lebt und befindet sich in ständiger Transformation, entsteht immer wieder neu. Ihre Selbst- und Naturbeobachtungen setzt sie dabei u.a. in Beziehung zu kunstgeschichtlichen und naturwissenschaftlichen Zusammenhängen, zu mythologischen Erzählungen, zu Kunst und Literatur. Ihr eigener Körper bleibt stets Ausgangspunkt, tritt oftmals sogar handelnd in Erscheinung. Es entwickeln sich tagebuchartige Aufzeichnungen und Geschichten – ein assoziatives Spiel mit äußeren und inneren Bildern wird sichtbar! Auch neue Erprobungen von Weiblichkeit entstehen. Thematisiert werden sowohl die eigenen inneren Kämpfe und die Suche nach sich Selbst als auch ein eigenes Wachsen.
Piia Rossi (*1968) ist eine bildende Künstlerin und Kunstpädagogin mit Sitz in Espoo, Finnland. Sie studierte Bildende Kunst am National College of Art and Design in Irland und absolvierte eine Ausbildung im Schmuckhandwerk in Finnland. Rossis Arbeiten beschäftigen sich häufig mit Identität und Zugehörigkeit und werden in Form von Installationen, Skulpturen und zeitgenössischem Kunsthandwerk umgesetzt. Für diese Ausstellung präsentiert sie kleine Objekte, die während intuitiver einstündiger Spaziergänge in ihrer Umgebung entstanden sind und aus gefundenen Materialien gefertigt wurden. Dabei arbeitet sie mit einer schnellen, reaktiven Methode, bei der Beobachtung und Materialien eine Art räumliches Zeichnen darstellen – ein Brainstorming aus Materie. Zeichnen ist für Rossi, in seinen vielfältigen Erscheinungsformen, nicht nur ein visueller Abdruck, sondern auch eine Art der Wahrnehmung und Präsenz. Sie hat sowohl in Finnland als auch international ausgestellt, und ihre Arbeiten befinden sich in öffentlichen und privaten Sammlungen.
27. September - 2. November 2025
Preview / Kuratorinnenführung
Freitag, den 26. September, 17.30 Uhr
Eröffnung
Freitag, den 26. September, 19 Uhr
Einführung: Willi Otremba
Künstler:innen:
Pedro Aspahan
Artur Miranda Azzi
Nora Mona Bach
Sarah Casey
Satomi Edo
Vanessa Enríquez
Petra Fiebig
Bjørn Hegardt
Wolfgang Lüttgens
Ekkehard Neumann
Sandra Opitz
Piia Rossi
Kuratorin:
Debora Ando
Titelgrafik: Sandra Opitz, Debora Ando
Abbildungen Werke: © die Künstler:innen
Finissage
Sekt-Führung
Sonntag, den 2. November, 17 Uhr
Freundlich unterstützt durch:
Kulturbüro Dortmund, Bergmann Bier