Netzwerke durchziehen unsere Welt – sichtbar und unsichtbar, geordnet und chaotisch. Sie verbinden Menschen, Städte, Rechenzentren und Naturräume. Die Ausstellung erforscht die dynamischen Strukturen und Muster, die Netzwerke ausmachen: die Ausbreitung invasiver Pflanzen, die Verdichtung urbaner Räume, das verzweigte Geflecht industrieller Produktion, die beständige Bewegung digitaler Information, Bilder und Ideen, aber auch die Ausbreitung umweltgefährdender Prozesse und kriegerischer Konflikte.
Ordnung und Chaos existieren dabei nicht als Gegensätze, sondern als Kräfte, die Netzwerke formen, weiterentwickeln oder destabilisieren. Die Fotografien dieser Ausstellung machen diese Dynamiken sichtbar, sie zeigen Muster, Brüche und Übergänge – die fragile Balance zwischen Struktur und Zufall, die unsere vernetzte Welt bestimmt.
Norman Behrendts künstlerische Praxis konzentriert sich auf langfristige Projekte, die auf umfassender Recherche basieren. Seine Themen sind vielfältig und reichen von der Konstruktion persönlicher und kollektiver Identitäten über die sozialen und politischen Umbrüche in Europa bis hin zur Erforschung urbaner Räume.
In seinem neuesten Projekt Exit (2022–24) untersucht er mithilfe der Fotografie die Notausstiege des Berliner U-Bahn-Systems und deren Einbettung in die urbane Landschaft der Stadt. Diese unscheinbaren, oft verborgenen Ausgänge bleiben in der Regel geschlossen und fügen sich nahtlos in die umgebende Architektur ein. Doch wenn sie geöffnet sind, entstehen Verbindungen zwischen dem öffentlichen Raum und der unsichtbaren, geheimnisvollen Unterwelt. Diese offenen, überwachten Portale deuten auf einen Notfall hin – ein unerwartetes, unkontrolliertes Ereignis –, das Ordnung und Sicherheit unterbricht. Behrendts Bilder fangen das Wesen dieses Ausnahmezustands ein. Die offenen Fragen bleiben: Warum sind diese Ausgänge geöffnet? Wer hat sie ausgelöst? Was ist geschehen? Der Betrachter steht vor einer leeren Bühne, gefangen zwischen dem, was bereits geschehen ist, und dem, was noch geschehen könnte.
„The vine that ate the south“ nennen die Einheimischen eine Pflanze, die seit vielen Jahren die amerikanischen Südstaaten erobert. Kudzu ist ursprünglich im asisatischen Raum beheimatet und wurde 1876 zur Centennial International Exhibition in Philadelphia in die USA eingeführt. Vor allem zur Zeit der großen Depression wurde Kudzu im Rahmen der New Deal Programme weiträumig angebaut, um die Bodenerosion zu stoppen. Doch das hoch invasive Gewächs breitete sich unkontrolliert aus. Heute ist Kudzu ein riesiges Problem. Die überwucherten Landschaften faszinieren, Bäume erinnern an Gestalten aus einer Fabelwelt, Wälder wirken wie verzaubert. Doch der schöne Schein birgt eine bittere Wahrheit. Die Pflanze wächst bis zu 30 Zentimeter am Tag und erobert nicht nur Zäune, Strommasten und Eisenbahnschienen, Kudzu überwuchert ganze Wälder und Häuser. Kudzu hat die Landschaft des amerikanischen Südens nachhaltig verändert.
www.bungert-dolfen-photography.de
Die Verbindung von Bildhauerei und Fotografie steht im Mittelpunkt der mehrteiligen Werkserie raw_material. Sie zeigt, wie Schüttgut – industrielle Rohstoffe und Recyclingmaterialien – zu fotografischen Skulpturen werden. Diese Rohstoffe lagern zu großen Materialansammlungen aufgehäuft in Hafen- und Wertstoffarealen, und werden im Prozess des Anlieferns und Weitertransportierens ständig bewegt und geformt. Diesen Prozess, der einer ökonomischen Logik unterliegt, betrachtet Engelhardt als Bildhauerin und als Fotografin mit ästhetischem Blick. Aus bis zu hundert Einzelaufnahmen setzt sie die großformatigen Bilder digital zusammen, sodass sich immer mehrere Perspektiven von ein und demselben "Berg" auf einem Bild vereinen. Aus dieser Multiperspektivität und einer Detailschärfe, die ohne den bildhauerischen Blick auf das des fotografischen Rohmaterials nicht möglich wäre, erklärt sich die eindringliche Präsenz und monumentale Erhabenheit, in der die einzelnen "Berge" im Bild erscheinen.
Die Fotografien sind in verschiedenen Binnenhäfen in Deutschland (Kehl und Karlsruhe) und Österreich (Krems) entstanden. Sie leben vom internationalen Handel und sind in ein globales Netzwerk eingebunden. Hier findet sich Industrieschrott, Recyclingmaterialien und Rohstoffe aus allen Teilen der Welt, wie etwa aus Russland, Polen, Kolumbien und China. Viele dieser unterschiedlichen Materialen lagern zu Haufen und Hügeln geschoben, die im Prozess des Anlieferns, Ablieferns, Weitertransportierens und Verschiebens beständig verändert, neu gehäuft, geformt und geschichtet, verbreitert oder verschmälert, erhöht oder abgetragen werden. Die schier endlose Bewegung von Dingen, die einer eigenen ökonomischen Logik unterliegt, lässt dabei beständig neue Hügel- und Materialformationen entstehen. Diese Hügel haben oft riesige Dimensionen, so dass man eher von Berge sprechen muss. Das Aufhäufen und Lagern folgt einer eigenen Ordnung, denn die Materialien müssen akribisch sortiert und voneinander getrennt gelagert werden. Sie unterliegen weltweit einer gemeinsamen universellen Struktur.
Die Arbeit besteht aus 50 Schwarzweißfotos, die in einem Raster angeordnet sind und zusammen ein größeres Tableau bilden. Jedes einzelne Foto zeigt ähnliche Szenen, in denen Menschen oder Gruppen aus einer erhöhten, distanzierten Perspektive aufgenommen wurden. Der Blickwinkel sorgt dafür, dass die neutrale Bodenfläche zum Hintergrund wird und die Figuren deutlich hervortreten. Dabei bleiben sowohl die Kameraposition als auch der Bildausschnitt in der gesamten Serie konstant.
Bei genauerem Hinsehen fällt ein wiederkehrendes Element ins Auge: die Zeitung. Sie ist für die Figuren ein unverzichtbares Accessoire, das sie teils als Sonnenschutz oder als Hilfsmittel zum Tragen von Gegenständen verwenden. Die Zeitung fungiert sowohl als Kommunikationsmedium als auch als vielseitiger Alltagsgegenstand. Zugleich sorgen die unterschiedlichen Haltungen und Bewegungen der Protagonisten für dynamische Abwechslung im Bildrahmen, da sie sich relativ zur Mitte in verschiedene Richtungen bewegen. Ihre Schatten, die ihre Umrisse nachzeichnen, verleihen dem ansonsten einheitlichen Hintergrund räumliche Tiefe.
Obwohl die Fotos alltägliche Szenen zeigen, verändert ihre Darstellung unsere Wahrnehmung dieser Momente. Die erhöhte Perspektive löst die Bilder aus ihrem zeitlichen und räumlichen Kontext und schafft eine Beobachtungsebene, die die Momente mehrdeutig erscheinen lässt. Die Serie folgt standardisierten Aufnahmebedingungen und bietet eine klare Sicht auf die Szenen, während die Individuen als Teil eines nicht näher definierten Versuchsaufbaus erscheinen.
Durch diesen Ansatz verwandelt sich der Bildraum in eine Bühne, auf der isolierte, alltägliche Ereignisse zu Bestandteilen einer scheinbar orchestrierten Aufführung werden, die über ihre Oberfläche hinaus mit Bedeutung aufgeladen ist.
„Arbeit“ ist ein wiederkehrendes Thema in den Werken der Künstlerin Katharina Gruzei. Österreichs letzte Donau-Schiffswerft ist der Ausgangspunkt für ihre Fotoserie Bodies of Work. In ihren Bildern verwandelt die Künstlerin die vorgefundene Arbeitswelt in teils schwerelos wirkende und an Science-Fiction erinnernde Szenarien. Sie zeigt wie die Arbeiterkörper und das Werkstück im Fertigungsprozess miteinander verschmelzen. Die präzise komponierten Fotografien verschränken unterschiedliche Zeitlichkeiten: sie greifen die Anachronismen des fast 180 Jahre alten Betriebs auf und lassen zugleich eine Nähe zur Ästhetik der Raumfahrt durchscheinen. Fremdartig wirkende Szenarien erweitern in Gruzeis Fotoserie den repräsentierten Realitätsausschnitt um neue Zeit- und Raumbezüge. Der fotografische Befund der Serie geht dabei weit über einen dokumentarischen Ansatz hinaus.
vanitas ist eine analoge, serielle (post-)fotografische Arbeit, deren Auslöser der Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine am 24. Februar 2022 war. Sie setzt sich mit Zerstörung auseinander und stellt die Frage: Was bleibt?
Seit Beginn des russischen Angriffs „zerstört“ Markus Kaesler für jeden Tag des andauernden Krieges existierende S/W-Silbergelatine-Barytabzüge, indem er das bildaufbauende Bildsilber löst und unter mechanischem Einfluss neu anordnet. So transformiert er Fotografien zu reinen Materialobjekten und entzieht ihnen ihre ursprüngliche Funktion als Bildträger – analog zu z. B. zerstörter Infrastruktur, die dadurch ihre Funktion verliert. Die abstrakten Arbeiten erinnern an Malerei, entstehen aber allein durch Neuanordnung des Bildsilbers. Die ursprüngliche Fotografie ist nicht mehr erkennbar, nur die Grauwertverteilung bleibt. Das Bildsilber formt neue Strukturen, das Fotopapier bekommt eine plastische, organische Oberfläche.
Jedes Einzelblatt entsteht in einem mehrtägigen Prozess und versteht sich sowohl als eigenständige Arbeit als auch als Teil des Ganzen. Die Serie wächst mit jedem Kriegstag und endet mit dessen Beendigung. Mittlerweile umfasst die Arbeit über 1000 Einzelblätter.
Im heutigen Vietnam, wo die Bautätigkeit rasant voranschreitet, zeigen Werbeplakate Bilder der luxuriösen, modernen Wohnungen, die irgendwann aus den Trümmern entstehen sollen. Sie präsentieren eine traumhafte, idyllische Lebenswelt – eine Illusion, die für die meisten Menschen unerreichbar bleibt.
Für viele junge Stadtbewohner:innen ist der verschwenderische Lebensstil – befeuert von einer unersättlichen Konsumgesellschaft – eine geradezu obsessive Sehnsucht, und die Plakate fangen ihre Träume perfekt ein. Nachts, wenn sie beleuchtet sind, erscheinen die Szenerien der neuen Gebäude in einem anderen Licht. Erfüllt von Einsamkeit und Verlorenheit werden sie zu Trugbildern, schweben knapp außerhalb unserer Reichweite – bestrebt, uns tiefer in eine aussichtslose Suche nach Perfektion zu ziehen.
(Inspiriert von den Werken von Todd Hido und Richard Prince aus der Serie Mirages, für die Duy Phuong von 2017 bis 2020 mit seinem Minsk-Motorrad mehrmals von Süd nach Nord durch Vietnam fuhr und nachts Fotos machte. Alle Fotos wurden bei natürlichem Licht und Straßenbeleuchtung aufgenommen.)
To Turn dreht sich um die Idee der Desorientierung. Durch die Rückbesinnung auf die Erfahrungen der Armeeausbildung im tropischen Dschungel Singapurs verliert sich die Arbeit – anstatt sie zu durchdringen – in den komplexen Verstrickungen räumlicher und sexueller Orientierung.
Der Künstler versteht Desorientierung als eine Geste des Widerstands gegen klare binäre Ordnungssysteme und feste Positionen – durch das Abweichen von geraden Linien und vorgegebenen Wegen. Der Sekundärwald, ein Ort, der von kolonialer Geschichte und militärischer Präsenz geprägt ist, wird so zu einem unerwarteten Raum für Subversion und ökologische Vielfalt – voller queerer Möglichkeiten.
Der Bildforscher und Künstler Elmar Mauch beschäftigt sich in seiner visuellen Arbeit Kopf ab – Gewaltphantasien mit dem Chaos, das in manchen Köpfen vorherrscht, wenn Zeitvertreib und unterschwelliges Aggressionspotential nach Verbildlichung streben.
In allen Zeiten waren es vor allem Männer, die überschießende Hormone in schlechte Ideen umsetzten. Dafür ist Kopf ab ein Indiz. In dieser Bildarbeit, deren Ausgangspunkt Alltagsfotografien sind, umkreist Mauch mit Bildkonfrontationen und Montagen ein überraschend weit verbreitetes soziales und visuelles Phänomen. Diese abgründigen fotografischen Relikte hat er über die Jahre aus seinem beständig anwachsenden „Archiv der verwaisten Bilder“ herauskristallisiert.
Es sind vereinzelte bildnerische Zeugnisse die als Gesamtheit jede Menge Beunruhigungspotential erhalten. Kopflose Aggressionen, scheinbare Harmlosigkeiten und abgründiger Inszenierungswille sind den Fotografien unterschwellig eingeschrieben. Durch die spezifische Art von Mauchs Montagetechniken konfrontiert und verstärkt er das Ausgangsmaterial und macht dadurch das vormalig Unterschwellige sicht- und spürbar.
Daniela Risch widmet sich in UNPROPER HANDLINGS Fragestellungen zu Material, Abläufen, der Geste des Blicks und des Spezifischen des Fotografischen. Gängige Techniken und Materialien werden von ihr bewusst gegen ihre beabsichtigte Verwendung eingesetzt. Entstanden sind überwiegend Unikate, mittels derer sie sich der Idee der unendlichen Reproduzierbarkeit von Fotografie entzieht.
Das ursprünglich gegenständlich ausgerichtete Medium der Fotografie hat sich immer auch nichtgegenständlich artikuliert. Es ist nicht eine Abbildung von etwas, was im Fokus dieser Arbeit steht, sondern das Material selbst ist das fotografische Objekt. Diese Fotografien zeigen etwas, aber sie zeigen vor allem sich selbst. Die Idee der Inbesitznahme von Welt durch fotografische Abbilder wird gezielt hintergangen.
In Toxic (2022 – fortlaufend) verschmelzen Subjekt und Objekt, wodurch das Fotografierte das Bild infiltriert und verändert. Nachdem Schuurman in ihrer Serie Kohle (2017) die als Gedenksteine für die ausgegrabenen oder verschütteten Dörfer in der Lausitz verwendeten Findlinge festgehalten hatte, setzte sie ihre Recherchen in der Region und zu den Auswirkungen des Braunkohletagebaus auf die Landschaft fort. Die Bergbauindustrie hinterließ tiefe Krater in der natürlichen Umwelt. Oft werden diese Abgründe mit Wasser gefüllt, um Möglichkeiten für zukünftigen Tourismus zu schaffen. Das Wasser ist derzeit noch zu sauer, um Leben zu erhalten. Schuurman machte Polaroids von der Oberfläche dieser künstlich geschaffenen giftigen Seen und ließ das Bild im Wasser entstehen. Die unterschiedlichen pH-Werte des Wassers, die mit den Säuren der Polaroids selbst interagieren, ließen eine Vielzahl von Formen und Farben entstehen: Eine visuelle Manifestation der Unnatürlichkeit des Wassers. Präsentiert in Plexiglasboxen, betont Schuurman die „Unberührbarkeit“ ihres Ausgangsmaterials.
Irgendwo am Stadtrand von Berlin. Der Traum vom Eigenheim. Ähnliche Architektur findet sich überall im Land. Individualität aus dem Katalog. Dicht an dicht. Fertigmodule schaffen Uniformität, und doch wirkt alles zusammenhanglos, hingewürfelt, im Widerstreit. Und wo sind die Menschen? Ihr Lachen, ihre Stimmen, Musik aus den Fenstern? Nichts ist zu hören in der Mittagssonne. Nur der Dialog der Gebäude. Anna Thiele nimmt in ihren fotokünstlerischen Projekten immer wieder Orte der Transformation in ihren Blick, so auch in dieser 2015 entstandenen Serie intimate play.
13. Juni - 13. Juli 2025
Eröffnung
Samstag, den 14. Juni, 20 Uhr
Künstler:innen:
Norman Behrendt
Sabine Bungert und Stefan Dolfen
Gabriele Engelhardt
Florian Bong-Kil Grosse
Katharina Gruzei
Markus Kaesler
Duy-Phuong Le Nguyen
Lee Chang Ming
Elmar Mauch
Daniela Risch
Marike Schuurman
Anna Thiele
Kurator:
Jens Sundheim
Titelgrafik: Debora Ando
Abbildungen Werke: © die Künstler:innen
Reguläre Öffnungszeiten
Do - So: 16 - 19 Uhr
Sonderöffnungszeiten
13. - 15. Juni, jeweils 11 - 18 Uhr
Kuratorenführung
Sonntag, den 15. Juni, 12 Uhr
Freundlich unterstützt durch:
Kulturbüro Dortmund, Werner Richard – Dr. Carl Dörken Stiftung