"add-on" als Begriff für „erweiterte Anwendungen“ bzw. für „gesteigerte Fähigkeiten“ meint hier mit Blick auf die vorgestellten künstlerischen Arbeiten eine erweiterte und gesteigerte räumliche Qualität. Räumlichkeit kann sich jeweils verschieden entfalten und führt zu divergierenden Raumvorstellungen im weitesten Sinn. Das Besondere all dieser räumlichen Verschränkungen und Erweiterungen ist, dass sie zwar wahrnehmbar sind, sich aber einer objektiven Erkenntnis entziehen und unbestimmt bleiben. Wie sich die räumlichen Wahrnehmungen und Vorstellungen im direkten Kontakt mit der jeweiligen Arbeit entwickeln und verändern, entzieht sich einer genauen euklidischen Nachprüfbarkeit. Sie bieten Spielräume zur Ausdehnung von Bedeutungsanreicherungen, denn sie erweisen sich als vielschichtig und rätselhaft; sie sind und bleiben offen für diverse Vorstellungen, Deutungen und Interpretationen. Es ist jeweils ein offenes, komplexes Spiel mit Möglichkeiten. Die in der Ausstellung thematisierte gesteigerte räumliche Qualität als add-on erweist sich als Anstiftung zur Suche nach außergewöhnlichen Sinnzusammenhängen.
Das Video zeigt durch Holzlamellen die Sicht auf einen italienischen Mittelmeerstrand. Die Menschen sind nur fragmentarisch und als Silhouette zu erkennen, vieles bleibt visuell angedeutet. Durch die reale und gleichzeitige Audioaufnahme der Umgebung (schreiende Kinder, schnell sprechende Frauen und Männer, Geräusche von Türschlössern usw.) ergänzen sich die Fragmente zu einem Gesamtbild.
Vanessa Henn arbeitet mit alltäglichen semiarchitektonischen Gegenständen, deren Funktion darin besteht, die Bewegung von Menschen zu lenken. Henn zeichnet mit ihren linienförmigen Skulpturen im Raum. Ihrer Funktion enthoben und in einem Ausstellungsraum neu kontextualisiert, treten Henns Geländer plötzlich als enigmatische Objekte in Erscheinung, während ihre Pendants im Alltag von uns meist ausgeblendet werden. Henns Arbeiten sind jedoch keine Readymades im Sinne von Marcel Duchamp. Vielmehr verwendet sie gefundene oder nachproduzierte Alltagsobjekte als Material für ihre Skulpturen und Installationen. Auf spielerische Weise transformiert sie Treppenhandläufe zu absurden Lineaturen, die nun nicht mehr nur unseren Körper, sondern auch unseren Geist zum Herum- oder Abschweifen einladen.
Licht entfaltet sich auf verschiedenen Oberflächen. In meiner Malerei schaffe ich zwei differenzierte Farbzustände, die sich als opak/matt und transparent/spiegelnd offenbaren. Der entstandende Farbton, durch verschiedenfarbige Lacklasuren auf einem einfarbigen Grund aufgetragen, wird zur tonalen Vorlage für die letztliche partielle Übermalung mit der opaken Ölfarbe. Durch den glänzenden Lack schafft sich die Malerei ihren eigenen (dreidimensionalen) Raum, der zwischen einer unbestimmbaren Tiefe im Malgrund und der Überlagerung des Spiegelbildes vagabundiert. Meine Malerei steht nie für sich alleine. Sie kommuniziert mit Betrachter und Raum.
Jörg Kratz schafft kleinformatige Gemälde und Grafiken von Innenräumen, Vorhängen und dem oftmals getönten Licht, das durch die Gitter eines Fensters einfällt. Während sich der Blick auf die Oberflächen der Arbeiten konzentriert, wird die Sichtbarmachung von Räumlichkeit und Bewegung durch Licht, Schatten und Textur als ihr eigentliches Anliegen offenbar. In ihrer formalen Konzentration und ruhigen, atmosphärischen Dichte ähneln sie Gefäßen für unsere Vorstellung und für die Fragen, wie Bilder in die Sichtbarkeit vordringen und wie sie unsere Wahrnehmung verändern.
Als Objekt der Darstellung hat der Spiegel kultur- und kunsthistorisch seit Jahrhunderten eine große Bedeutung: von Selbstbetrachtungen, dem Abbild der Seele bis hin zum Motiv des Vergänglichen oder von Übergängen realer Welten in magische Paralleluniversen. Sie lassen auf diese Weise eine Vielfalt von imaginären Spiegelungen zu. Als Metapher der Reflexion erweitert der Spiegel den Blick der Selbsterkenntnis und Selbstbetrachtung. Sali Muller nutzt die Spiegel als Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Praxis, um ihn wieder zu „entspiegeln“, ihn zu brechen oder zu fragmentieren. Die nicht vollendeten Formen, die sie einfach stehen oder liegen lässt, sind eine ihrer künstlerischen Eigenarten und immer wiederkehrendes Erkennungsmerkmal mit dem sie uns Denkaufgaben stellt. Exemplarisch
dafür ist ihre mehrteilige Arbeit The Missing Part. Wie rätselhafte Spuren fordern die Objekte auf, sie entweder wieder zusammenzustellen, neu zu arrangieren oder sie weiterzudenken. (Harald F. Theiss)
Die Fragmentierung des Spiegelbilds, beziehungsweise die Verunmöglichung des Sich-Spiegelns, ist ein Schlüsselthema, das Sali Muller auch innerhalb der Arbeit The missing part behandelt. Indem sie jeweils den Mittelteil von nebeneinander platzierten Spiegeln entfernt, lässt sie die Betrachter auf eine Spiegelung blicken, die paradoxerweise gar nicht vorhanden ist. Durch einen harten Schnitt sind Körper und Gesicht aus dem Blickfeld ausgeschnitten und es werden allein Teile des Kopfes und der Füße gespiegelt. Die Arbeit Verschiebung der Wirklichkeit lässt den Betrachter auf eine Spiegelung blicken, die sich aus ihrem gewohnten Rahmen heraus verschoben hat.
"Flächenformen, in unterschiedlichen Neigungen, nach Ordnung und Zufall
aneinandergefügt, lassen uns leicht bewegt Raum erleben..." (Ekkehard Neumann, 2019)
Der Ansatz David Sempers lässt sich mit den beiden Begriffen Material und Prozess grob umreißen und umfasst ein großes Spektrum von Werktypen und Arbeitsweisen. Aus der intensiven Auseinandersetzung mit dem Ort, seiner Stofflichkeit, seiner vormaligen Funktion und Geschichte kann sich seine künstlerische Reaktion ergeben. Sei es in der Sichtbarmachung von Spuren dieser Vergangenheit, sei es in der Arbeit mit gefundenem Material, das er arrangiert und durch subtile Eingriffe markiert. Eine andere Vorgehensweise arbeitet mit stofflichen Kontrasten, etwa indem David Semper Stücke aus einer Wand lösst und durch passgenaue Volumina aus Alabaster ersetzt. Oder er platziert Stempelkissen in zuvor geschaffenen Wandöffnungen, verschließt diese anschließend durch Putz. In einem nicht steuerbaren Prozess arbeitet sich die Farbe durch den Putz, greift in nicht absehbarer Weise im Laufe der Zeit auf die Wand über. In ähnlicher Weise initiiert Semper einen Formprozess, wenn er ein Stück Bleiband in der Wand fixiert und anschließend Schwerkraft und Eigenwicht des Materials zusammenwirken lässt. Variation und Wiederholung, Referenzen an Formen klassischer Ornamentik sind ebenfalls Handlungsmöglichkeiten des Künstlers. (Jens Peter Koerver, 2017)