Ausgangspunkt der Ausstellung ist der Gedanke totaler Sichtbarkeit der Welt durch fotografische Bilder. Deren schiere Masse und unmittelbare Verbreitung lässt letztlich alles Abgebildete gleichermaßen unwichtig, fast schon unsichtbar werden.
Was also kann Fotografie in der heutigen Zeit noch leisten? Die Ausstellung versammelt Künstler:innen, deren Arbeiten eine Präsenz ausstrahlen, die durch intensive und meist auch langfristige Auseinandersetzung mit den jeweiligen Sujets entsteht. Sie bilden damit einen Gegenpol zu den schnell konsumierbaren, durchweg flüchtigen Bildwelten, die unseren Alltag prägen.
Mit Blick auf "Globalität", das Thema des f² Fotofestivals, spiegeln die ausgewählten Arbeiten Konflikte heutiger Zeit wider – collageartige Schichtungen von Bildern, die über Nachrichten und Social-Media verbreitet wurden (Lisa Hoffmann), Spuren vergangener (Henning Rogge) und Andeutungen zukünftiger kriegerischer Gewalt (Johanna-Maria Fritz), der Versuch bildhafter Erfassung radioaktiver Verstrahlung in Fukushima (Yoi Kawakubo), die Auseinandersetzung mit Orten, an denen sich Menschen – jenseits weltlicher Konflikte – für ein Leben abseits der Gesellschaft entschieden haben (Matthew Genitempo), bis hin zur Konfrontation mit einer Stätte, die zu einem Synonym ungelöster persönlicher Konflikte geworden ist (Sascha Weidner).

Eröffnung

Johanna-Maria Fritz

Um eine Bewegung zu verstehen, sollte man sich die Einzelschicksale und Motivationen genauer ansehen. Die Porträts, die im September und Oktober in Kabul im analogen Mittelformat aufgenommen wurden, vermitteln einen Eindruck von den Menschen hinter den Kämpfern. Menschen die aus unterschiedlichen Regionen stammen und sich aus den verschiedensten Gründen den Fundamentalisten angeschlossen haben - ohne jedoch Heldenbilder oder Ikonen zu schaffen. Die Bilder wurden kurz nach der Machtübernahme im Oktober 2021 aufgenommen.

www.johannamariafritz.com

www.instagram.com/johannamaria_fritz

Matthew Genitempo

Inspiriert vom Leben und Werk des Dichters und Landvermessers Frank Stanford entstanden diese Fotografien von hermetischen Häusern und in Einsamkeit lebenden Menschen in den Ozark Mountains von Arkansas und Missouri. Indem er neblige Landschaften, überladene Innenräume und schroffe Männer einfängt, die sich in dunklen Wäldern verstecken, erkundet Jasper die Faszination, dem Alltag zu entfliehen. Die Arbeiten bewegen sich zwischen Tatsachen und Fiktion und zeigen Realität und Mythos dessen, was es bedeutet, wirklich abseits der Gesellschaft zu stehen.

www.matthewgenitempo.com

Lisa Hoffmann

Lisa Hoffmann arbeitet zu alternativen Dokumentarismen und Möglichkeiten der Darstellung von Traumaerleben. In ihrer Serie ATLAS OF THE ESSENCE greift sie Natur- und Umweltkatastrophen, sowie Kriege, Konflikte und soziale Ereignisse auf. Die einzelnen Arbeiten überlagern hunderte bis tausende Aufnahmen einzelner Ereignisse und stammen von Social Media Plattformen, Instant Messengern und Suchmaschinen. In ihnen erlangt die Komplexität von Ereignissen, die vorhandenen Perspektiven und die individuelle, charakterisierende Phänomenologie, die auch aus Nicht-Sichtbarem und Nicht-Sagbarem besteht, einen signifikanten Stellenwert.
Durch den Bruch mit bekannten Bildkonzepten und erlernten Sichtweisen wird ein ästhetisch-sinnliches Erfahren und Erleben der Wahrnehmung ermöglicht, das die bisherige Wahrnehmung und das Verhalten gegenüber Bildern reflektiert. Die einzelnen Essenzen zeigen Chaos, Lücken und Mehrdeutigkeit, die traumatischen Ereignissen und ihrer Zeugenschaft innewohnen.

www.lhoffmann.com
www.atlas-of-the-essence.com

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Yoi Kawakubo

Bei einem Besuch in der Präfektur Fukushima nach dem großen Erdbeben in Tohoku im Nordosten Japans vergrub Kawakubo Silberhalogenidfilme in der radioaktiv belasteten Evakuierungszone. Der Künstler holte die Filme nach einigen Monaten zurück und printete sie in einem vergrößerten Format. Anstatt das Licht durch das Vergraben der Filme zu blockieren – im Gegensatz zu der ursprünglichen Methode der Fotografie, ihr Bild durch Licht zu zeigen –, verwandelte Kawakubo die für das bloße Auge unsichtbare radioaktive Strahlung in eine sichtbare Form. 
Der Titel dieses Werks ist ein Zitat aus den Worten des amerikanischen Physikers Robert Oppenheimer, der das Manhattan-Projekt leitete, in dessen Rahmen im Zweiten Weltkrieg die erste Atombombe entwickelt wurde. Oppenheimer, der auch als "Vater der Atombombe" bekannt ist, verglich sich selbst mit dem Gott der Zerstörung aus dem heiligen Hindu-Text Bhagavad Gita.
"Wenn der Glanz von tausend Sonnen in den Himmel käme, wäre das wie der Glanz des Mächtigen..."

www.yoikawakubo.com

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Henning Rogge

Die Serie Bombenkrater von Henning Rogge (seit 2008) zeigt Spuren von Luftangriffen aus dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland. Durch Internet-Recherche und mit Hilfe von Luftbildern ermittelt der Künstler die Koordinaten dieser meist abgelegenen Orte, deren Entstehung überwiegend in Vergessenheit geraten ist. Über die letzten 75 Jahre wurden die Vertiefungen im Boden von der Natur zurückgewonnen, teils in Biotope verwandelt, auch wenn ihr Ursprung an der kreisrunden Form noch deutlich zu erkennen ist. Die ruhigen, idyllischen Landschaften stehen im Gegensatz zur abrupten und gewaltsamen Kraft ihrer Entstehung – und zeugen von der Gegenwart des Vergangenen wie ein stilles Vermächtnis. 

www.henningrogge.de

www.instagram.com/henning.rogge

Sascha Weidner

In seiner ganz eigenen, poetischen Bildsprache näherte sich Sascha Weidner dem Wald Aokigahara in Japan, ein Ort, der traurige Berühmtheit dafür erlangte, dass sich Menschen dort das Leben nehmen.

www.saschaweidnerestate.com

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